Gemeinden kennen das Problem: Wenn in Quartieren Asylheime oder Jugendtreffs geplant werden, hagelt es oft und sofort Einsprachen. Nachbarn fürchten sich vor Lärm, Belästigungen und um ihre Sicherheit. Im Herblinger Dorfkern geht der Einsprachen-Irrsinn aber noch weiter. Hier hat gar ein Wohnhaus für Demente keine Chance. Diese Erfahrung musste Pius Zehnder von der Schaffhauser Baufirma Pmb GmbH machen.
Im Juni stellte er zusammen mit Edi Spleiss, Stiftungsrat des Altersheims Schönbühl in Schaffhausen, sein Projekt «Wohnhaus für Demente» vor. Zu Beginn wurde er dafür gefeiert, dass er bereit war, auf seiner eigenen Parzelle fünf Millionen Franken zu investieren und das Wohnhaus dann günstig dem Altersheim zu vermieten.
Eine Heimat im Dorfkern
«Ein Projekt, an dem ich nichts verdient hätte», sagt Zehnder zu BLICK und spricht von einer maximalen Renditeerwartung von 2,5 Prozent – bei 900 Franken Miete im Monat pro Bewohner.
Er habe an Demenz erkrankten Menschen eine Heimat im Dorfkern bieten wollen, sagt Zehnder. «Wer weiss, ob ich eines Tages selber froh wäre, ein solches Angebot nutzen zu können.» Stiftungsrat Spleiss freute sich schon: «So eine Gelegenheit bekommt man nicht zweimal. Durch die niedrigen Renditeerwartungen hätten wir für ein solches Projekt niemals eine Finanzierung bekommen.»
Reissleine gezogen
Nur: Die Nachbarn torpedierten das Projekt. «Sie hatten Angst, dass schwerkranke Menschen im Quartier ihre Lebensqualität beeinflussen könnten», ist sich Zehnder sicher. Er habe heute noch Bauchschmerzen, wenn er an diese Aussagen denke. «Das ist Ausgrenzung in seiner reinsten Form», findet der ehemalige SVP-Kantonsrat.
Lange fackelte Zehnder nicht. «Als ich gemerkt habe, dass ich sogar vor Gericht ziehen müsste, habe ich die Reissleine gezogen.» Weil in Schaffhausen Nachbarn Bauprojekte bis zu vier Jahre verzögern können, hat Zehnder das Projekt beerdigt. «Wenn man was Gutes machen will und nur auf Ablehnung stösst, verliert man die Freude daran», sagt er.
«Demente sind nicht willkommen, das ist beschämend»
60'000 Franken hat er für das Vorprojekt in den Sand gesetzt, welches er mit dem Denkmalschutz erarbeitet hatte. Denn für das Wohnhaus hätte er ein altes Bauernhaus mit Scheune saniert. «Jetzt werde ich die Parzelle als Warenlager für meine Baufirma nutzen», sagt Zehnder. Das sähe zwar nicht so schön aus wie das geplante Wohnheim, «aber das ist jetzt nicht mein Problem».
Die Einsprecher widersprechen Zehnder. «Nicht die Dementen waren das Problem, sondern dass die Bauvisiere falsch ausgesteckt wurden», sagt eine Einsprecherin aus dem Quartier zu BLICK. Ihr sei es da ums Prinzip gegangen – alles müsse seine Richtigkeit haben. «Wer mir unterstellt, ich hätte was gegen Demente, tut mir unrecht!»
Zehnder kann darüber nur lachen. Natürlich waren die Bauvisiere richtig gesetzt. «Das sind nur Vorwände, um nicht im schlechten Licht dazustehen. Fakt ist: In diesem Quartier sind Demente nicht willkommen, und das ist wirklich beschämend!»
Anna Munk von Alzheimer Schweiz zeigt sich befremdet über die Reaktionen auf das Wohnhaus-Projekt in Herblingen SH. «Es ist schockierend, wenn Menschen im 21. Jahrhundert solche Vorurteile haben», sagt sie zu BLICK. «Das erinnert mich ans Mittelalter, als Kranke an die Stadtgrenze verbannt wurden.»
Es gebe keinen Grund, Angst vor Menschen mit Demenz zu haben. «Menschen mit Demenz lassen sich stärker durch Gefühle leiten, da ihre Denkfähigkeit beeinträchtigt ist. Sie brauchen ein vertrauensförderndes Umfeld, um sich in Sicherheit zu fühlen.» Die Gesellschaft müsse lernen, Menschen, die anders sind, zu akzeptieren, anstatt sie auszugrenzen.
Von einer solchen Ablehnung gegenüber Menschen mit Demenz hat sie noch nie gehört. «Man kann sich fragen, ob da nicht eher finanzielle Interessen im Spiel sind.»
Demenz ist auf dem Vormarsch. Schweizweit sind fast 150'000 Menschen betroffen, dazu kommen jährlich fast 30'000 Neuerkrankungen. Mit etwa 60 Prozent der Fälle ist Alzheimer der häufigste Auslöser für Demenz.
Anna Munk von Alzheimer Schweiz zeigt sich befremdet über die Reaktionen auf das Wohnhaus-Projekt in Herblingen SH. «Es ist schockierend, wenn Menschen im 21. Jahrhundert solche Vorurteile haben», sagt sie zu BLICK. «Das erinnert mich ans Mittelalter, als Kranke an die Stadtgrenze verbannt wurden.»
Es gebe keinen Grund, Angst vor Menschen mit Demenz zu haben. «Menschen mit Demenz lassen sich stärker durch Gefühle leiten, da ihre Denkfähigkeit beeinträchtigt ist. Sie brauchen ein vertrauensförderndes Umfeld, um sich in Sicherheit zu fühlen.» Die Gesellschaft müsse lernen, Menschen, die anders sind, zu akzeptieren, anstatt sie auszugrenzen.
Von einer solchen Ablehnung gegenüber Menschen mit Demenz hat sie noch nie gehört. «Man kann sich fragen, ob da nicht eher finanzielle Interessen im Spiel sind.»
Demenz ist auf dem Vormarsch. Schweizweit sind fast 150'000 Menschen betroffen, dazu kommen jährlich fast 30'000 Neuerkrankungen. Mit etwa 60 Prozent der Fälle ist Alzheimer der häufigste Auslöser für Demenz.
Ein Kommentar von Flavio Razzino, Redaktor News
Nachbarn, die ein Wohnprojekt für Demente verhindern, weil sie Krach und Belästigungen fürchten – selbst mit viel Fantasie und wenig Mitgefühl ist es schwierig, eine solche Reaktion zu verstehen. Was bitte droht beim Aufeinandertreffen mit dementen Menschen?
Es gibt zwei mögliche Erklärungen. Einerseits könnte das liebe Geld eine Rolle spielen. Etwa, weil befürchtet wird, dass der Wert der eigenen Liegenschaft leiden könnte, wenn im Quartier ein Wohnheim für Demente steht. Ein schäbiger Gedanke! Oder es ist eben die Furcht, täglich damit konfrontiert zu sein, wie der eigene Lebensabend aussehen könnte. Mit der Präsenz von Dementen wird man mit dem Tabuthema Tod konfrontiert, obwohl man das nicht möchte.
Wer deswegen solche Projekte zu verhindern versucht, vergisst aber: Das Leben hat einen Morgen und einen Abend. Unser aller Ziel ist es, den Abend möglichst in Würde verbringen zu können. Und gerade Dementen wäre das wohl in einem Wohnhaus mitten im Dorfkern und unter anderen Menschen möglich.
Ein Kommentar von Flavio Razzino, Redaktor News
Nachbarn, die ein Wohnprojekt für Demente verhindern, weil sie Krach und Belästigungen fürchten – selbst mit viel Fantasie und wenig Mitgefühl ist es schwierig, eine solche Reaktion zu verstehen. Was bitte droht beim Aufeinandertreffen mit dementen Menschen?
Es gibt zwei mögliche Erklärungen. Einerseits könnte das liebe Geld eine Rolle spielen. Etwa, weil befürchtet wird, dass der Wert der eigenen Liegenschaft leiden könnte, wenn im Quartier ein Wohnheim für Demente steht. Ein schäbiger Gedanke! Oder es ist eben die Furcht, täglich damit konfrontiert zu sein, wie der eigene Lebensabend aussehen könnte. Mit der Präsenz von Dementen wird man mit dem Tabuthema Tod konfrontiert, obwohl man das nicht möchte.
Wer deswegen solche Projekte zu verhindern versucht, vergisst aber: Das Leben hat einen Morgen und einen Abend. Unser aller Ziel ist es, den Abend möglichst in Würde verbringen zu können. Und gerade Dementen wäre das wohl in einem Wohnhaus mitten im Dorfkern und unter anderen Menschen möglich.