Haben Zürcher Polizisten Wilson A.'s Leben gefährdet?
Staatsanwältin fordert Freispruch für angeklagte Polizisten

Drei Zürcher Stadtpolizisten müssen sich heute und eventuell morgen Mittwoch vor dem Zürcher Bezirksgericht verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, bei einer Personenkontrolle den dunkelhäutigen, herzkranken Wilson A.* verletzt zu haben. Am Dienstagmorgen die Wende: Nun fordert die Staatsanwältin einen Freispruch für die Angeklagten.
Publiziert: 10.04.2018 um 06:12 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 02:00 Uhr

Ungewöhnliche Wende im Prozess gegen die drei Zürcher Stadtpolizisten, die wegen Amtsmissbrauch und Gefährdung des Lebens vor dem Gericht stehen. Die Staatsanwältin Christine Braunschweig plädiert für einen Freispruch. Sie wirkte sichtlich genervt. Am Anfang des Verfahrens hatte der Anwalt des Privatklägers versucht, sie aus dem Verfahren auszuschliessen.

Ihre Begründung: «Während die Polizisten ohne Absprachen immer das gleiche Ausgesagt haben, gab es bei dem Privatkläger Fragezeichen. Es gab im Gegensatz zu den Polizisten in den Erzählungen keinen roten Faden. Es gibt erhebliche Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussagen.»

«Hätte nur seinen Ausweis zeigen müssen»

«Die ärztlichen Gutachten haben gezeigt, dass Wilson A. nie in unmittelbarer Lebensgefahr schwebte. Die blosse Möglichkeit reicht nicht für eine Verurteilung. Auch ein direkter Vorsatz der Beamten lässt sich nicht nachweisen.»

«Alles andere als ein Freispruch kommt nicht in Frage!»
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Verteidiger eines beschuldigten Polizisten im BLICK-Interview:«Alles andere als ein Freispruch kommt nicht in Frage!»

Auch den Vorwurf des Amtsmissbrauchs kann die Leiterin der Abteilung für besondere Untersuchungen der Staatsanwaltschaft I nicht gelten lassen. «Der Privatkläger hätte nur seinen Ausweis zeigen müssen. Die Beamten machten eine Personenkontrolle, weil ein ähnlicher Mann zur Verhaftung ausgeschrieben war. Die Polizisten machten nur ihren Job.»

Reizstoff ins Gesicht gesprüht

Die Kontrolle fand bereits im Oktober 2009 statt. Den drei beschuldigten Stadtpolizisten - darunter eine Frau - wird vorgeworfen, dem damals 36-jährigen Mann, zusammengeschlagen, gewürgt und mit Pfefferspray besprüht zu haben - «obwohl ich ihnen sagte, dass ich eine Herzoperation hinter mir habe und einen Defibrillator trage», wie er vor Bezirksgericht sagte. Er sprach von Todesangst: «Ich dachte, ich werde meine Tochter nie mehr sehen.»

Zudem sollen sie sich auf seinen Rücken gesetzt haben, als er bereits gefesselt auf dem Boden lag. Ein weiterer Vorwurf: Wilson A. (44) wurde von einem der Polizisten mit «Scheiss-Afrikaner, geh zurück nach Afrika» beschimpft.

Durch die Gewalteinwirkungen hätten die «in hochgradiger Aufregung» handelnden Beschuldigten bewusst und ohne Anlass und Grund für den herzkranken Mann die Gefahr geschaffen, «dass die Wahrscheinlichkeit eines Todes einen ernsten und hohen Grad erreichte».

Der damals 36-Jährige, dem kurz zuvor eine künstliche Herzklappe eingesetzt worden war, erlitt unter anderem einen gebrochenen Lendenwirbel, Prellungen im Gesicht und am Hals, eine Zerrung am Oberschenkel und eine ernsthafte Knieverletzung.

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Wilson A. (44) kämpft seit sieben Jahren vor Gericht.

Beschuldigte weisen Vorwürfe zurück

Die Staatsanwaltschaft fordert daher wegen Amtsmissbrauchs und Gefährdung des Lebens bedingte Geldstrafen von 100 Tagessätzen sowie Bussen - und zog damit den Unmut des Opferanwalts auf sich.

Dieser kritisierte, als die neue Anklage Ende 2016 eingereicht wurde, die «völlig unverständliche Tatsache», dass sich der Strafantrag für den neu formulierten Anklagevorwurf «Gefährdung des Lebens» dennoch nach wie vor auf eine bedingte Geldstrafe von 100 Tagessätzen beschränke.

Die drei Beschuldigten wiesen anlässlich des Prozesses vom November 2016 die Gewalt-Vorwürfe zurück. Die Personenkontrolle, die kurz vor 1 Uhr in einem Tram begann, sei angesichts der Aggressivität des Mannes angemessen abgelaufen.

Er habe sich wiederholt geweigert, seinen Ausweis zu zeigen. Und gerade weil er so aggressiv gewesen sei, hätten sie Pfefferspray, Stock und «rohe Körpergewalt» einsetzen müssen, um ihn in Handschellen legen zu können. Von einem Herzproblem hätten sie hingegen nichts gewusst, sagten sie damals vor Gericht. Ausserdem sei die Personenkontrolle nicht einer Laune der Polizisten entsprungen oder wegen rassistischer Motive geschehen, sondern weil «eine Ausschreibung für eine gut angezogene Person mit dunkler Haut vorlag». 

(SDA/man)

* Name der Redaktion bekannt

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