Seit zwei Monaten schleppt sie eine Lungenentzündung mit sich: Rehpinscher Abby (6) lässt sich geduldig untersuchen. «Ich habe Abby in einem Park gefunden, die Besitzerin wollte sie nicht mehr», erzählt Simon (38). Für den joblosen Tierpfleger sind seine kleinen Hunde sein Ein und Alles: «Sie geben mir so vieles zurück.»
Um Mischling Bippo (1) steht es weniger schlimm, vernarbende Bisswunden erinnern an seine traurige Vergangenheit in Bulgarien. Seit einer Woche lebt er bei seinem neuen Besitzer Martin (48) in einem Wohnwagen im Zürcher Sihlwald. «Er wäre sonst eingeschläfert worden, das ging mir voll ans Herz», erzählt der ehemalige Drogenabhängige – der, wie er erzählt, «vor dreissig Jahren von Pfarrer Sieber von der Gasse geholt» wurde.
Wer zum Gassentierarzt kommt, hat oft ein schweres Schicksal hinter sich . Das gilt nicht nur für die Besitzer, sondern auch für ihre Vierbeiner. «Oft sind Hunde oder Katzen die besten oder sogar noch die einzigen Freunde dieser Menschen», sagt Miriam Spring (47).
Unter dem Dach von Pfarrer Sieber
Die Initiantin des Projekts arbeitet seit 20 Jahren für die Sozialwerke des Obdachlosenpfarrers Ernst Sieber, der im Mai mit 91 verstorben ist. Ihm ist zu verdanken, dass Randständige ihre geliebten Vierbeiner artgerecht versorgen lassen können. «Sie geben diesen Menschen Halt und Herzenswärme, unterstützen sie aber auch in ihrer Tagesstruktur. Wer ein Tier hat, lernt Verantwortung, auch sich selber gegenüber.»
Für Martin ist Bippo die beste Therapie: «Ich gehe jeden Tag mit ihm spazieren, und er braucht viel Aufmerksamkeit. Er ist noch sehr ängstlich und muss vieles noch lernen.»
Die tiermedizinische Untersuchung für die Vierbeiner übersteigt jedoch die finanziellen Möglichkeiten der armutsbetroffenen Besitzer, darum bezahlen sie für Behandlung und Untersuchung einen reduzierten Beitrag. Pro Jahr werden über 700 Vierbeiner in der mobilen Tierarztpraxis von Igna Wojtyna (37) behandelt.
Angebot für Bedürftigte
Jeden Montagnachmittag führt sie an der Gerechtigkeitsgasse Behandlungen und Impfungen durch, verschreibt Medikamente und steht geduldig mit Rat zur Seite. «Ohne dieses Angebot sähe es um viele Bedürftige und auch ihre Vierbeiner schlecht aus», so Wojtyna, die auch in Bern und Basel als Gassentierärztin im Einsatz ist.
«Manche sorgen sich mehr um ihre tierischen Freunde als um sich selbst», ergänzt Mirjam Spring. «Darum kümmern wir uns hier letztendlich nicht nur um die Tiere, sondern auch um deren Besitzer und ihre Anliegen. Oft muss man sie lange davon überzeugen, dass sie selber zum Arzt gehen müssen.»
Der Ort ist damit auch Treffpunkt, so wie für Alex (50) und Silvia (45). Beide lebten als junge Frauen auf dem Platzspitz, kennengelernt haben sie sich erst letztes Jahr durch ihre Hunde. «Sie sind die besten Freunde», so Silvia. «Ohne meine Hunde wäre ich nie von den Drogen losgekommen. Und dank Zsebi habe ich jetzt auch den Alkoholentzug geschafft.»