Behindertenverbände kritisieren den neuen SBB-Doppelstöcker - Rollstuhlfahrerin Thea Mauchle machte den Praxis-Test
«Diese Mängel sind peinlich für die SBB»

Endlich, vier Jahre nachdem er eigentlich hätte fahren sollen, sind gestern erstmals Passagiere in den Krisen-Doppelstöcker eingestiegen. Sie sind zufrieden – doch die SBB haben noch einiges an Arbeit vor sich.
Publiziert: 26.02.2018 um 23:54 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2018 um 10:49 Uhr
«Das ist eine Frechheit der SBB»
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Behinderte über Krisen-Doppelstöcker: «Das ist eine Frechheit der SBB»:«Das ist eine Frechheit der SBB»
Konrad Staehelin (Text) und Philippe Rossier (Fotos)

Es sind sonderbare Szenen, die sich gestern Mittag am Gleis 17 des Zürcher HB abspielen: Eine querschnittgelähmte Frau rollt rückwärts mit ihrem Rollstuhl auf den Eingang des Zugs zu. Holpert mit den Hinterrädern über die Einstiegskante. Und dann die abschüssige Rampe ins Innere des Zuges runter.

Noch abenteuerlicher aber ist das Rausfahren: Neben der gegenüberliegenden Türe drückt die Frau den Öffnen-Knopf, holt mit den Armen Schwung und schafft es knapp bis zur Türschwelle hoch. Legt das Gewicht nach hinten, um überhaupt die Vorderräder ganz aufs Perron zu bekommen.

Dort stehen Journalisten aus der ganzen Schweiz und filmen, fotografieren und befragen die Frau. Sie muss die Übung zigfach wiederholen.

«Anstrengend und gefährlich»

Die Rollstuhl-Fahrerin heisst Thea Mauchle (59) und ist Präsidentin der Behindertenkonferenz Kanton Zürich. Auf Einladung von BLICK testet sie die Behinderten-Freundlichkeit des neuen Doppelstöckers der SBB, den die Firma Bombardier gebaut hat. Anlass ist die – um Jahre verspätete – erste fahrplanmässige Fahrt des neuen Zugs von Zürich nach Bern.

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Thea Mauchle, Präsidentin der Behindertenkonferenz Kanton Zürich, rattert im Rollstuhl über den Eingang des Bombardier-Doppelstöckers.
Foto: PHILIPPE ROSSIER

«Als Rollstuhlfahrerin mit diesem Zug zu reisen, ist enorm anstrengend und gefährlich», sagt Mauchle. Sie selbst sei zwar kräftig. Doch für ganz viele andere Rollstuhlfahrer wäre es unmöglich, ohne fremde Hilfe aus diesem Zug zu kommen. «Bei diesen Hindernissen ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Rollstuhlfahrer das Gleichgewicht verliert und aufs Perron kippt.»

Eine leidvolle Geschichte

Die Erstfahrt des neuen SBB-Doppelstöckers endete gestern mit fünf Minuten Verspätung. Das ist leider symbolisch: Der Krisen-Doppelstöcker hat Verspätung eingefahren, seit er geplant wurde. Er hätte schon vor vier Jahren und zwei Monaten Passagiere transportieren sollen.

Im Mai 2010 geben die SBB bekannt, für 1,9 Milliarden Franken 59 Doppelstöcker-Kompositionen bei Bombardier zu posten. Der Bauort liegt in Villeneuve VD.

Immer weitere Verzögerungen

Die SBB planen damals, die Züge Ende 2013 erstmals mit Passagieren einsetzen zu können. Doch 2012 der Rückschlag: Wegen Konstruktions-Problemen und ersten Beschwerden von Behinderten-Verbänden verschieben die SBB den Termin für die Erstfahrt um zwei Jahre.

Ende 2014 der nächste Rückschlag, der neue Ziel-Termin ist 2017. Zwar schieben sich SBB und Bombardier gegenseitig die Schuld zu, doch zwischen den Zeilen ist klar: Die erneute Verspätung ist auf Bombardier-Mist gewachsen. Denn der kanadische Konzern verspricht den SBB drei Gratis-Kompositionen des Zugs plus Ersatzteile.

Heute weiss man: Auch der Ziel-Termin 2017 wird nicht eingehalten: Grund dafür sind Pannen im Test-Betrieb und die Verzögerungen bei der Bewilligung, die daraus entstehen.

Die Erstfahrt des neuen SBB-Doppelstöckers endete gestern mit fünf Minuten Verspätung. Das ist leider symbolisch: Der Krisen-Doppelstöcker hat Verspätung eingefahren, seit er geplant wurde. Er hätte schon vor vier Jahren und zwei Monaten Passagiere transportieren sollen.

Im Mai 2010 geben die SBB bekannt, für 1,9 Milliarden Franken 59 Doppelstöcker-Kompositionen bei Bombardier zu posten. Der Bauort liegt in Villeneuve VD.

Immer weitere Verzögerungen

Die SBB planen damals, die Züge Ende 2013 erstmals mit Passagieren einsetzen zu können. Doch 2012 der Rückschlag: Wegen Konstruktions-Problemen und ersten Beschwerden von Behinderten-Verbänden verschieben die SBB den Termin für die Erstfahrt um zwei Jahre.

Ende 2014 der nächste Rückschlag, der neue Ziel-Termin ist 2017. Zwar schieben sich SBB und Bombardier gegenseitig die Schuld zu, doch zwischen den Zeilen ist klar: Die erneute Verspätung ist auf Bombardier-Mist gewachsen. Denn der kanadische Konzern verspricht den SBB drei Gratis-Kompositionen des Zugs plus Ersatzteile.

Heute weiss man: Auch der Ziel-Termin 2017 wird nicht eingehalten: Grund dafür sind Pannen im Test-Betrieb und die Verzögerungen bei der Bewilligung, die daraus entstehen.

Der steile Winkel der Rampe, die von der Türschwelle ins Zuginnere abfällt, ist das Hauptproblem. Zudem ist die Eingangsschwelle zu hoch. Und der Ausstiegsknopf ist für Rollstuhlfahrer nur schwer zu erreichen.

Zu steil oder nicht? Die Rampe, die zur Türschwelle führt.
Foto: PHILIPPE ROSSIER SWITZERLAND

«Sehr peinlich»

Die Behinderten-Organisation Inclusion Handicap hat im Januar beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen die Fahr-Bewilligung der Doppelstöcker eingereicht. Die Züge wiesen gravierende Hindernisse für Behinderte auf und kämen damit in Konflikt mit dem Behindertengleichstellungsgesetz. Nach diesem müssten Behinderte ohne fremde Hilfe im neuen Zug reisen können.

Die Beschwerde führt 15 Punkte auf, wie Behinderte durch die Bauweise des Zugs noch stärker behindert werden, als sie es ohnehin schon sind. Zum Beispiel, wie Sehbehinderte die Orientierung verlieren könnten, weil an der entscheidenden Stelle am Ende der Treppe der Handlauf unterbrochen ist.

Eine der Beschwerden: Der Handlauf am Ende der Treppe ist nicht durchgehend.
Foto: PHILIPPE ROSSIER SWITZERLAND

«All diese Mängel sind sehr peinlich für die SBB», sagt Mauchle. Diese dagegen verstehen nicht, warum sich die Behindertenverbände nun plötzlich beklagen: «Sie wurden in die Fahrzeugkonzeption einbezogen.» Zudem entspräche der Winkel der Rampe der internationalen Norm.

Probleme für Gehbehinderte: An dieser Wand fehlt laut Inclusion Handicap ein Festhalte-Griff.
Foto: PHILIPPE ROSSIER SWITZERLAND

Das juristische Hickhack wird die Schweiz noch eine Weile begleiten: Wann das Bundesverwaltungsgericht die Frage beantwortet, ob die SBB ihre Züge anpassen müssen, ist noch offen.

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