«Normalerweise kommen die Tiere nur für kurze Zeit in die Schweiz», sagt Ornithologe Lionel Maumary (44) aus Lausanne. Er hat die junge Familie entdeckt und fotografiert.
Im Frühling hört er, dass in Leukerbad VS ein Schlangenadler-Paar aufgetaucht sei. In einem abgelegenen Waldstück auf 1000 Metern über Meer findet er die beiden seltenen Vögel. Das Weibchen sitzt im Nest und brütet.
In 50 Metern Entfernung zum Horst baut Maumary einen Unterstand und legt sich auf die Lauer. Etliche Nächte, Hunderte Stunden verbringt er in der Natur, schiesst 18 000 Fotos. «Greifvögel sind sehr scheu. Ich war extrem vorsichtig, wollte sie beim Brüten nicht stören. Deshalb habe ich auch niemandem von meiner Entdeckung erzählt.»
Am 30. Mai ist es soweit. «Bébé», wie Maumary den jungen Schlangenadler nennt, schlüpft aus dem Ei. «Das ist einer der grössten Momente meiner Karriere. Es gibt nichts Schöneres, als die junge Adlerfamilie in der Morgendämmerung zu beobachten», sagt der Ornithologe. Mehrmals wöchentlich besucht er die Adler-Familie.Sieht, wie der Kleine grösser und dicker wird. «Die Eltern kümmerten sich liebevoll um ihr Junges, fütterten es fleissig. Ich habe 114 Mal beobachtet, wie sie ihm Schlangen oder Blindschleichen brachten. Nur zweimal einen Vogel. Und einen Frosch.»
Schlangenadler wegen Klimaerwärmung in der Schweiz
Erstaunt war Maumary über das Männchen. «Er sass immer wieder mal fünf Stunden auf dem Ei, damit die Mutter sich etwas zu fressen suchen konnte. Das ist sehr selten!»
Schlangenadler leben vor allem in Südfrankreich (2000 Paare) und Italien (500 Paare). Dass sich der seltene Greifvogel, der sich praktisch von Schlangen ernährt, im Wallis heimisch fühlt, führt Maumary auf die Klimaerwärmung zurück. «Schlangen gefällt das wärmere Klima. Sie vermehren sich, weiten ihren Lebensraum in die Höhe aus», erklärt er.
Am 17. August verlässt der junge Schlangenadler zum ersten Mal das Nest. Am 28. September hat der Ornithologe «Bébé» noch gesehen. Dann hat die Adlerfamilie die Reise in den Süden, tief nach Afrika, angetreten. «Wenn sie die weiten Flüge überleben, sehe ich die Eltern nächstes Jahr wieder im Wallis», sagt Maumary. Der Jungadler bleibt zwei Jahre in Afrika.
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