Zwei Tage, zwei Reden, zwei Gesichter: Am Dienstag, bei seinem offiziellen Auftritt am Flüchtlingsforum in Genf, gab Recep Tayyip Erdogan ganz den diplomatischen Staatsführer. Vor Dutzenden TV-Kameras bat er die internationale Staatengemeinschaft um mehr Unterstützung für die Türkei.
Ganz anders am Tag zuvor. Da trat der türkische Machthaber im Nobelhotel Four Seasons vor seine Anhänger und hielt – abgeschirmt von der Öffentlichkeit – eine Propagandarede gegen die Integration.
Dem SonntagsBlick liegt ein Video des Auftritts vor. Ein Konferenzsaal mit knapp 200 Leuten, weisse Tischtücher, Silberbesteck. Und auf der Bühne: Erdogan, der die anwesenden Schweiz-Türken auf seine Grossmachtsfantasien einschwört.
«So machen wir weiter!»
Während vor dem Hotel Schweizer Polizisten mit Maschinenpistolen patrouillieren, redet sich der türkische Autokrat drinnen in Rage: «Eine Nation, eine Fahne, eine Heimat, ein Staat. So machen wir weiter!»
Applaus.
Erdogan macht den Anwesenden klar: Auch wenn sie in der Schweiz lebten, treu zu sein haben sie nur einer Nation: der Türkei. Dabei streckt der Staatspräsident seine Hand in die Luft, vier Finger ausgestreckt, den Daumen angewinkelt – der «Rabia-Gruss», das Erkennungszeichen der islamistischen Muslimbrüder.
Erdogan geht noch weiter: Es gebe für die türkische Diaspora nur einen Staat, dem sie folgen sollen. Aufgabe in der Schweiz sei jedoch, ihren Einfluss auszuweiten: «Werdet aktiv, in der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft!» Mit anderen Worten: Unterwandert die Schweizer Gesellschaft.
Linientreue Auslandstürken waren schon immer Erdogans Ideal. Bereits 2008 rief er seinen Landsleuten bei einer Rede zu: «Niemand kann erwarten, dass Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit!»
Damit die türkische Diaspora auf Kurs bleibt, gründete Erdogan 2010 das Ministerium für Auslandstürken (YTB), eine Behörde mit 300 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von knapp 200 Millionen Franken. Der offizielle Leitspruch des YTB: «Wir sind überall, wo wir einen Staatsangehörigen, einen Artgenossen, einen Verwandten haben.» So kann denn auch nicht erstaunen, dass Erdogans Propagandaauftritt in Genf von eben jenem Ministerium organisiert und wohl auch finanziert wurde.
Erdogans Aargauer Arm
Als Verbindungsmann im Hintergrund agierte der Aargauer Murat Sahin, Erdogans verlängerter Arm in der Schweiz. Sahin ist langjähriger Präsident der Union Internationaler Demokraten, einer Lobbyorganisation der türkischen Regierungspartei AKP. Er pflegt enge Beziehungen zum Machtapparat von Ankara.
Auf Facebook schwor er Erdogan bedingungslose Treue: «Solange ich atmen kann, werde ich mit meinem ganzen Dasein dort stehen, wo du mir befiehlst, und zusammen mit dir auf diesem Weg kämpfen!»
Für seine Dienste im Sinne der türkischen Regierung wurde Sahin in Genf belohnt: Er gehörte zu den wenigen Auserwählten, die während des Dinners im Hotel Four Seasons mit dem türkischen Machthaber und dessen Ehefrau persönlich am Tisch sitzen durften.
Am selben Tisch dinierten der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu und Verteidigungsminister Hulusi Akar. Der hatte im Herbst den Angriff auf die Kurden in Nordsyrien befohlen.
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