Das Urteil in einem der aufsehenerregendsten Prozesse der vergangenen Jahre ist gesprochen: Fabrice Anthamatten, Killer der Sozialtherapeutin Adeline Morel (†34), muss lebenslänglich hinter Gitter und wird danach zudem verwahrt – allerdings nicht bis ans Lebensende. Das hat Gerichtspräsident Fabrice Roch heute Nachmittag am Genfer Kriminalgericht verkündet. Der Entscheid ist noch nicht rechtskräftig und kann weitergezogen werden.
Anthamatten wurde in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen. Das Gericht verurteilte ihn wegen Mordes, Freiheitsberaubung, sexueller Nötigung und Diebstahls.
Die Tat Anthamattens sei vorsätzlich geschehen, das Motiv besonders verwerflich, sagte Richter Roch zu Beginn der Urteilsverkündung. Der Angeklagte sei voll schuldfähig und unfähig, Reue zu zeigen. Vielmehr habe er weiter gelogen, warf der Richter Anthamatten vor. Dennoch wird der Killer nicht zu einer lebenslangen, sondern lediglich zu einer sogenannten ordentlichen Verwahrung verurteilt. Man könne nicht sagen, dass es lebenslänglich keine Therapiemöglichkeit gebe, begründete der Richter den Entscheid.
Die Frage nach der Untherapierbarkeit
Die Familie des Opfers nahm das Urteil sichtlich enttäuscht entgegen. Der Anwalt der Familie hatte eine lebenslange Verwahrung gefordert – wie auch die Oberstaatsanwaltschaft. Voraussetzung dafür ist, dass zwei Gutachter unabhängig voneinander zum Schluss kommen, dass der Täter untherapierbar ist.
Doch wann ist das der Fall? Diese Frage war es, die das Gericht, allen voran die beiden Psychiater-Duos aus Frankreich und der Schweiz, hauptsächlich umgetrieben hatte. Die beiden französischen Gutachter bezeichneten Anthamatten als pervers gestörten Psychopathen. Die beiden Schweizer Experten sprachen von einer schweren dissozialen Störung. Beide Expertenteams schätzten die Gefahr für eine Wiederholungstat als «sehr hoch» ein, resümierte Richter Roch heute. Weil die Experten Anthamatten allerdings nciht als untherapierbar bis ans Lebensende bezeichnet hätten, könne der Artikel im Strafgesetzbuch zur lebenslänglichen Verwahrung nicht angewendet werden.
Auf diese Worte verliess auf der Tribüne des grossen Gerichtssaals im Genfer Palais de Justice eine junge Frau unmittelbar ihren Platz und schlug krachend die Türe zu. Der Angeklagte hingegen nahm das Urteil regungslos hin. Er erschien wie im fünftägigen Prozess vergangene Woche in einem blauen T-Shirt, grauen Trainerhosen und Turnschuhen gekleidet.
«Lebenslängliche Verwahrung wäre doppelte Sicherheit gewesen»
Die Familie der getöteten Sozialtherapeutin Adeline Morel will das Urteil nicht weiterziehen, wie sie gegenüber BLICK sagt. Sie seien «sehr müde», meint Esther Morel, Mutter des Opfers, nach dem Gerichtstermin. «Für uns wäre eine lebenslängliche Verwahrung eine doppelte Sicherheit gewesen. Eine Sicherheit, dass so jemand nicht mehr freikommt.»
Das Urteil habe gezeigt, dass das Gesetz zur lebenslänglichen Verwahrung «nicht anwendbar» sei. «Denn es sind die Psychiater, die darüber entscheiden», sagt Morel – und nicht die Richter. Familie Morel sieht nur eine Konsequenz: «Man müsste ein Referendum machen, um dieses Gesetz wieder aufzuheben.»
Urteil erst in zweitem Anlauf
Vergangene Woche war der Prozess gegen den 42-jährigen vorbestraften Sexualstraftäter ein zweites Mal aufgerollt worden. Die erste Verhandlung musste vergangenen Oktober wegen Befangenheit der Richter nach wenigen Tagen abgebrochen werden – eine riesige Blamage für die Genfer Justiz. (lha/btg/SDA)
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