Warum wir nicht ohne Facebook und Co leben können
Koks für den Kopf

Social-Media-Plattformen können noch so hinterhältig sein – wir können trotzdem nicht ohne sie leben. Weil sie süchtiger machen als Alkohol, Tabak, Kokain oder Spielautomaten.
Publiziert: 05.04.2018 um 19:53 Uhr
|
Aktualisiert: 18.12.2018 um 13:47 Uhr
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Durch Social Media werden im Hirn suchtartige Reaktionen ausgelöst.
Foto: Getty Images
Silvia Tschui

Facebook steht wegen des Missbrauchs seiner Datensammlung weltweit in der Kritik. Die Social-Media-Plattform zu verlassen, ist aber nicht einfach: Entwickler aus dem Silicon Valley haben etwa Facebook, Instagram, Pinterest oder Snapchat absichtlich so programmiert, dass sie süchtig machen. Es gibt sogar einen Ausdruck dafür, Abhängige anzufixen: Brain Hacking.

Der frühere Apple- und Google-Angestellte Tristan Harris hat kürzlich über diese Praktiken in einem TV-Interview ausgepackt: «Es geht darum, neurologische und psychologische Erkenntnisse so anzuwenden, dass die Benutzer so oft wie möglich auf die Plattformen kommen und so lange wie möglich bleiben.»

Diverse psychologische «Angelhaken» wurden nach Angaben des Unternehmers, der in allen renommierten Publikationen zitiert und häufig von Universitäten als Gastdozent eingeladen wird, bei Facebook eingebaut, um uns daran zu binden.
«Variable Verstärkung» ist der psychologische Fachbegriff für ein Phänomen, das der Verhaltenspsychologe B. F. Skinner in den 1950er-Jahren erforscht hat. Er liess Ratten, die in einer Box auf einen Hebel drückten, in unregelmässigen Abständen eine Belohnung zukommen: meist nichts, manchmal etwas Kleines, selten etwas Grösseres.

Die Belohnung wird zum Zwang

Im Vergleich zu Versuchstieren, die bei Bestätigung des Hebels stets dieselbe Belohnung bekamen, drückten die ungleichmässig belohnten den Hebel nach kürzester Zeit zwanghaft – und ständig.

Menschen sind wie Laborratten evolutionär darauf ausgerichtet, Muster zu erkennen. Variabilität, also Unvorherseh­barkeit, bringt diese genetische Prägung durcheinander. Mit der Folge, dass es ihr Hirn zur Prio­rität macht, der Sache auf den Grund zu gehen – auf Kosten anderer Funktionen wie Selbstkontrolle oder Mässigung.

Bei Facebook bieten gleich zwei Faktoren diese variable Bestätigung. Ich weiss zum einen nie, was mich erwartet – Fotos von Freunden, interessante Zeitungsartikel, manchmal auch Langweiliges oder Ärgerliches. Zum anderen fungiert der Like Button als variable Belohnung: Ich weiss nie, ob und wie viele Menschen meinen Beitrag liken.

Es geht um die soziale Stellung

Soziale Bestätigung ist einer der grössten Treiber der menschlichen Evolution – wir sind Herdentiere mit festem Platz in einer Rangordnung. Diese Stellung will jeder verbessern oder zumindest überprüfen. Deshalb ist der Like-Button zusätzlich zur variablen Belohnung gleich doppelt suchterzeugend: Wer einen Beitrag teilt, will wissen, wie viele Menschen diesen liken, und geht deshalb danach gleich mehrmals auf die Plattform.

Auch Benachrichtigungstöne bringen uns ständig aus dem inneren Gleichgewicht: Das Telefon klingelt, piept, surrt oder summt, wenn wir auf dem Facebook-Messenger, auf Whatsapp oder sonst wo eine Nachricht erhalten. Diese Töne und auch Vibrationen sind so designt, dass sie für möglichst grosse Aufmerksamkeit sorgen. Sie verleiten uns dazu, sofort nachzusehen, wer uns da eine Nachricht schickt – auch wenn wir uns gerade mit jemandem unterhalten.

Ein weiterer fieser Trick verleitet dazu, länger als nötig aufs Smartphone zu starren: Antwortet jemand auf unser SMS, unsere Whatsapp-Nachricht oder auf dem Messenger, so erscheinen mittlerweile Pünktchen, die anzeigen, dass der Empfänger gerade zurückschreibt – auch dies ein bewusst eingesetzter Psychotrick: Die Erwartung, unverzüglich eine neue Message zu erhalten, lässt uns auf der Plattform verweilen.

Dieselbe Hirnregion wie beim Kokain

Alle diese Funktionen lösen im Hirn suchtartige Reaktionen aus, die sich objektiv messen lassen. Diverse Studien der letzten Jahre bestätigen: Sie aktivieren in allerkürzester Zeit dieselben Hirnareale wie der Konsum von Kokain oder Spielsucht.

Das Gefährliche daran: Die konstante Unterbrechung verändert nachhaltig unsere Hirnstruktur, wie der Neurowis­senschaftler Daniel J. Levitin 2015 im britischen «Observer» schrieb. Der emeritierte Professor des Massachusetts Institute of Technology sieht sogar Anzeichen einer kollektiven Verblödung. In der Fachsprache klingt das so: «Sind wir ständig abgelenkt, leitet unser Hirn Informationen ins Stratium, wo Tätigkeitsabläufe gespeichert werden. Bei ungestörter Informationsaufnahme, etwa Lesen oder Lernen ohne Anwesenheit von Smartphone oder TV, leitet das Hirn die Information in den Hippocampus. Dort wird sie geordnet und kategorisiert. Nur so kann das Hirn die Information später wieder abrufen.»

So werden Sie nicht zum Sklaven Ihres Smartphones

1. Lassen Sie sich nicht vom Smartphone wecken, kaufen Sie lieber so bald wie möglich einen Wecker. Denn wer frühmorgens noch im Halbschlaf zum Smartphone greift, ist natürlich in Versuchung, gleich noch E-Mails oder Social-Media-Plattformen zu checken – und den Tag mit einer Reizüberflutung des Gehirns zu beginnen. Überhaupt: Mobiltelefone haben im Schlafzimmer nichts verloren, sie stören nachweislich den Schlaf.

2. Löschen Sie so viele Apps wie möglich: Facebook Messenger, Game-Apps – einfach alles, was ablenkt.

3. Halten Sie vor dem Teilen eines Beitrags inne und über­legen Sie, ob es wirklich jemanden interessiert. Zum Beispiel: Will wirklich jemand ein Bild von meinem Essen sehen?

4. Stellen Sie Ihre Settings neu ein: Töne für SMS, Whatsapp und E-Mails ausschalten, Vibrationen ebenso. Handybildschirm auf Schwarz-Weiss stellen, denn die roten Benachrichtigungs-Icons lösen den Reiz aus, sie anzuklicken.

5. Ändern Sie Ihre Gewohnheiten und schalten Sie etwa auf dem Arbeitsweg oder in der Mittagspause das Telefon aus.

6. Laden Sie Apps herunter, die den Umgang mit Ihrem Smartphone überwachen. Mit «App Detox» (Android) oder «Flipd» (iOS und Android) lassen sich zum Beispiel Zeitfenster bestimmen, in denen man sich das Öffnen anderer Apps erlaubt – ausserhalb dieser Zeiten bleiben sie ausgeschaltet.

1. Lassen Sie sich nicht vom Smartphone wecken, kaufen Sie lieber so bald wie möglich einen Wecker. Denn wer frühmorgens noch im Halbschlaf zum Smartphone greift, ist natürlich in Versuchung, gleich noch E-Mails oder Social-Media-Plattformen zu checken – und den Tag mit einer Reizüberflutung des Gehirns zu beginnen. Überhaupt: Mobiltelefone haben im Schlafzimmer nichts verloren, sie stören nachweislich den Schlaf.

2. Löschen Sie so viele Apps wie möglich: Facebook Messenger, Game-Apps – einfach alles, was ablenkt.

3. Halten Sie vor dem Teilen eines Beitrags inne und über­legen Sie, ob es wirklich jemanden interessiert. Zum Beispiel: Will wirklich jemand ein Bild von meinem Essen sehen?

4. Stellen Sie Ihre Settings neu ein: Töne für SMS, Whatsapp und E-Mails ausschalten, Vibrationen ebenso. Handybildschirm auf Schwarz-Weiss stellen, denn die roten Benachrichtigungs-Icons lösen den Reiz aus, sie anzuklicken.

5. Ändern Sie Ihre Gewohnheiten und schalten Sie etwa auf dem Arbeitsweg oder in der Mittagspause das Telefon aus.

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Einfacher ausgedrückt: Die ständige Ablenkung führt dazu, dass die «Festplatte Gehirn» keine neuen Inhalte mehr speichert. Social Media machen uns also nicht nur süchtig, sondern langfristig auch dümmer.

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