BLICK: Herr Karimi, letzten Sommer flohen Sie über die Balkanroute in die Schweiz. Wie haben Sie das Jahr erlebt?
Kaveh Karimi: Die ersten zwei Monate waren sehr schwierig. Ich musste in einem Bunker ohne Fenster leben. Es war immer laut, da waren so viele Menschen. Ich konnte kaum schlafen. Es gab kein Internet. Ich bin Blogger, ich brauche Internet. Zum Glück durfte ich am Medienausbildungszentrum MAZ in Luzern den Computer benutzen. Dort lernte ich Journalisten kennen, die mir halfen.
Kurz darauf rief BLICK an.
Genau, fünf Tage später. Das war eine tolle Überraschung. Danach wurde ich ans erste Reporterforum eingeladen, wo ich eine junge Journalistin kennenlernte. Sie verhalf mir zu einer Wohnung bei Freunden. Jetzt lebe ich dank ihr in einer WG. Wir wohnen zu siebt in einem Chalet nahe Luzern.
Fühlen Sie sich hier wohl?
Ich habe einen sicheren Platz, ich lerne viele interessante und hilfsbereite Menschen kennen. Ich bin jetzt sehr froh, in der Schweiz zu sein.
Was ist Ihnen noch fremd?
Es ist nicht so leicht, Freunde zu finden. Aber hat man sie einmal gefunden, sind Schweizer Freunde fürs Leben. Ich bin Atheist. Wäre ich Muslim, hätte ich wahrscheinlich mehr Mühe, mich zu integrieren. Manche sind gefangen in ihren Weltansichten.
Was bereitet Ihnen Schwierigkeiten?
Ich warte immer noch auf den Asylentscheid. Ich habe Angst, kein politisches Asyl zu bekommen, obwohl ich alle nötigen Dokumente vorweisen kann. Im Iran wurde ich vom Geheimdienst wegen meiner journalistischen Artikel verfolgt und verschleppt. Ich hoffe sehr, den B-Ausweis zu bekommen. Bald muss ich zum Interview auf das Migrationsamt.
Ihr Deutsch ist beeindruckend, vor einem Jahr sprachen Sie noch kein Wort.
Seit zwei Monaten gehe ich in den Deutschkurs. Davor habe ich mir alles selber beigebracht. Den Kurs muss ich selber bezahlen, weil ich noch keinen Asylentscheid habe. Aber das kann ich mir nicht leisten, ich lebe von 400 Franken im Monat. Meine Freunde kommen für die Kursgebühren auf.
Denken Sie oft an Ihre Flucht zurück?
Nein, ich denke an die Zukunft und plane mein Leben.
Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft in der Schweiz?
Zuerst will ich Deutsch lernen. Dann will ich Stadtplanung studieren und daneben als Journalist arbeiten. Mein grösster Traum aber ist, meine Mutter wiederzusehen. Sie lebt im Iran.
«Auch wenig hilft viel»
Der Alltag der letzten Monate war für die syrische Frauenrechtlerin Saniha Izo geprägt von Deutsch lernen und ihren fünf Kindern im Alter zwischen 13 und 23 Jahren. «Das gibt natürlich viel zu tun», sagt Izo. Noch haben nicht alle Kinder den B-Ausweis. «Das lange Warten ist schwierig für uns, die Schweiz ist manchmal schon sehr bürokratisch.» Izo engagiert sich für Frauenrechte im Verein «Das Leben ist Frieden». Ihr Wunsch ist es, als Sozialarbeiterin mit Migranten zu arbeiten. «Ich weiss, was es bedeutet, in der Fremde zu sein.»
Nachdem ihre Geschichte vor einem Jahr im BLICK erschien, schickte ihr eine Leserin 200 Franken für Syrien. Das Geld schickte Izo in die zerstörte Stadt Kobane und verteilte es dort an 15 Familien. «Auch kleine Beiträge helfen viel.»
«Zum Glück blieb ich»
Kairat Birimkulov wollte die Schweiz verlassen. «Hätte ich bis Ende 2015 keine feste Arbeit gefunden, wäre ich in meine Heimat Kirgisien zurückgekehrt», sagt er. Von dort floh der TV-Moderator vor acht Jahren in die Schweiz, weil er politisch verfolgt wurde. Kurz vor seiner Abreise bekam er eine Stelle. «Zum Glück bin ich hier geblieben.»
Jetzt arbeitet er in einem Asylheim im Kanton Zug und lässt sich zum Migrationsfachmann ausbilden. Für BLICK interviewte er Bundesrätin Simonetta Sommaruga, für SRF konnte er eine «Kulturplatz»-Sendung mitgestalten. «Die Arbeit für BLICK hat mich ermutigt, weitere Schritte in der Schweiz zu machen.»
«Ich fühle mich eingeschränkt»
Vor einem Jahr schrieb Nazir Amir im BLICK, er fühle sich in der Schweiz frei, aber gefesselt. «An meinem Aufenthaltsstatus hat sich nichts verändert, ich habe noch immer den Ausweis F», sagt er heute. Als vorläufig aufgenommener Flüchtling darf er nicht einmal eine Prepaid-Karte zum Telefonieren kaufen. Seine zwei Kinder sind mittlerweile im Gymnasium. Er hat Mühe, ihnen zu erklären, warum ihre Situation so stark eingeschränkt ist.
«Ich habe in Syrien über 25 Jahre lang als Fotograf gearbeitet. Ich möchte das hier so gerne wieder tun.» Im Juni stellte er in einer Beiz in Luzern Bilder aus, die er in der Schweiz schoss. «Das war für mich ein Höhepunkt im letzten Jahr.»