«Die Krise führt zu einer Zunahme von Süchtigen»
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Versteckte Risiken der Krise:«Die Krise führt zu einer Zunahme von Süchtigen»

Versteckte Risiken der Corona-Krise
«Die Krise führt zu einer Zunahme von Süchtigen»

Fachleute warnen vor einer unerwarteten Folge des Lockdowns: Langeweile und Isolation verstärken die Gefahr von Drogen und Sucht erzeugenden Verhaltensweisen.
Publiziert: 04.04.2020 um 23:04 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2021 um 19:30 Uhr
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Fachleute sind sich einig: Die Krise führt zu einer Zunahme von Süchtigen. Denn die Situation während des Lockdowns erhöht die Risikofaktoren für eine Suchtentwicklung. Da sich eine Sucht aber über eine relativ lange Zeit entwickelt, gibt es noch keine genauen Zahlen.
Foto: DUKAS
Lukas Lippert

Das Gesundheitssystem ist am Anschlag, die Wirtschaft leidet, die Fallzahlen steigen ­unerbittlich. Für die Menschen zu Hause ist die Corona-Krise eine enorme Belastung. Neben der ­Arbeit im Homeoffice müssen Kinder betreut werden. Alleinstehende drohen zu vereinsamen. Man bewegt sich kaum noch. Die Tage verlieren zunehmend ihre Struktur.

Mehr denn je suchen Menschen in dieser Situation nach Ablenkung – der Weg in die Abhängigkeit wird kürzer. Um die Langeweile zu vertreiben und die Sorgen zu vergessen, wird aus einem Glas Wein schnell eine Flasche, aus der Zigarette auf dem sonnigen Balkon ein Päckchen und aus dem Spiel im Internet eine durchzockte Nacht.

Fachleute sind sich einig: «Wir gehen von einer Zunahme der Süchtigen aus», sagt Markus Meury von Sucht Schweiz, dem nationalen Kompetenzzentrum für Prävention, Forschung und Wissensvermittlung im Suchtbereich. Andere Sucht- beratungsstellen bestätigen den Trend.

Pandemie als Gefahr

Eine Sucht entwickelt sich in aller Regel nicht von heute auf morgen. Es gibt zwar noch keine genauen Zahlen, sicher ist jedoch: Die Pandemie bedeutet für suchtgefährdete und einsame Menschen eine grosse Gefahr – jenseits des Risikos, an Covid-19 zu erkranken. «Wenn keine soziale Kontrolle da ist, sieht man die Lösung seiner Probleme schneller im Konsum», betont Suchtfachmann Meury.

Die grösste Angst der Süchtigen ist es, keinen Stoff mehr zu haben. Seit Beginn der Krise nehmen die Verkäufe von Tabak, Alkohol oder legalem Cannabis zu. Dies zeigt eine Umfrage von SonntagsBlick bei Herstellern und Verkäufern. Auch Cannabis mit Rauschwirkung verkauft sich derzeit besser – zumindest bestätigen dies Zahlen aus den USA. Dort erzielten Cannabisläden im März Rekordergebnisse.

Hamsterkäufe auch bei Suchtmitteln

Wie viel in der Schweiz dieser Tage mehr getrunken, geraucht oder gekifft wird, ist schwierig zu sagen. Wie bei WC-Papier gebe es auch bei Suchtmitteln Hamsterkäufe, glaubt Markus Meury. So werden momentan etwa häufiger ganze Stangen statt Zigarettenpäckchen verkauft.

Umgekehrt gelte aber auch: Wir trinken jetzt zwar mehr zu Hause, dafür ist das Rauschtrinken in den Restaurants, Bars und Clubs verunmöglicht. Und weil das Nachtleben grösstenteils nicht mehr stattfindet, ist auch der Konsum von Partydrogen eingebrochen.

Es sind denn auch weniger die problematischen oder verbotenen Substanzen, welche Fachleuten Sorge bereiten. Die grösste Gefahr geht demnach von Süchten aus, die im Internet ausgelebt werden – Geldspiel-, Computerspiel-, Porno- oder Kaufsucht.

Internet steigert Suchtangebote

Radix heisst eine Fachstelle für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte im Kanton Zürich. Franz ­Eidenbenz leitet dort den Sektor ­Behandlung. Er sagt: «Die Situation ist kritisch.» Das Internet habe die Verhaltenssucht gesteigert, denn übers Smartphone sind gefährliche Angebote zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar.

Während des Lockdowns, so ­Eidenbenz, verschärfe sich die ­Problematik zusätzlich. Wenn, wie jetzt, alle Casinos und Läden ­geschlossen seien, bleibe Suchtgefährdeten gar keine andere Wahl als das Internet. Doch ausgerechnet jetzt sei die Werbung für Onlinecasinos und Pornoseiten besonders offensiv.

Haben Sie Suchtprobleme?

Diese drei Anlaufstellen können helfen:

Diese drei Anlaufstellen können helfen:

Im Gegensatz zu nicht virtuellen Casinos machen Onlinecasinos besonders schnell süchtig. Meist fehle der Bezug zum realen Geld, zudem falle am Bildschirm zu Hause die soziale Kontrolle weg, erklärt der Experte. Damit steige die Risikobereitschaft. Auch würden meist mehrere Glücksspiele gleichzeitig gespielt, was zu immer wieder neuen Reizen führe. Man gerate dabei rasch in eine Suchtspirale.

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Betroffene unterstützen

Wie viele Menschen die Corona-Krise in eine Sucht treibt, ist nicht zuletzt eine Frage der Zeit. Jonas Wenger vom Fachverband Sucht Schweiz: «Wenn der Lockdown länger andauert und sich die wirtschaftliche Krise weiter verschärft, nehmen die Risikofaktoren für Abhängigkeiten und psychische Erkrankungen weiter zu.» Es sei darum wichtig, die ­Betroffenen in dieser schwierigen Situation gut zu unterstützen, um sie gegen Versuchungen zu stärken.

Die Krise fordert auch die Suchthilfe verstärkt heraus, denn die Beratungs- und Anlaufstellen mussten schliessen. Viele reagieren deshalb kreativ und flexibel auf den Lockdown. Unter anderem das Zentrum für Spielsucht, das nun auch telefonische Beratungen anbietet. Über Video­telefonie seien sogar Therapien möglich, sagt Radix-Abteilungsleiter Eidenbenz. Das Angebot sei sehr gefragt. Die Therapien würden seltener abgesagt als üblich, was auf einen grossen Leidensdruck hindeute.

Heroinersatz nach Hause geliefert

Innovative Angebote gibt es auch für Menschen mit schwerer Drogenabhängigkeit. Das Stadtzürcher Zentrum für Suchtmedizin etwa liefert Heroinsüchtigen die Ersatzdroge Methadon nun direkt nach Hause. Die meisten Empfänger gehören zur Corona-Hochrisikogruppe und sollten sich möglichst wenig im öffentlichen Raum aufhalten.

Trotz aller Gefahren sieht Jonas Wenger vom Fachverband Sucht daher auch neue Chancen: «Die Verlangsamung der Gesellschaft, sinnstiftende und kreative Aktivitäten können Menschen auch vor einer Sucht schützen.»

Hier lauern Gefahren einer Sucht
  • Porno: Rund 300'000 Sex- und Pornosüchtige gibt es in der Schweiz. Das Anbieten von kostenlosen Premiumzugängen in der Krise erhöht das Suchtrisiko.
  • Geldspiel: Knapp 200'000 Personen zeigen ein exzessives Spielverhalten. Das Geldspiel hat sich jetzt ins Internet verlagert – das Suchtrisiko ist dort besonders hoch.
  • Illegale Drogen: Rund 220'000 Personen konsumieren Cannabis. In der Krise ist die Tendenz steigend. Der Konsum von Partydrogen wie Ecstasy ist eingebrochen.
  • Alkohol: Rund 250'000 Personen gelten als alkoholabhängig. Zurzeit wird mehr Alkohol in den Läden verkauft, dafür ist das Rauschtrinken zurückgegangen. (Quelle: Sucht Schweiz)
  • Rauchen: Rund ein Viertel der Schweizer Bevölkerung raucht. Die Zigarettenverkäufe haben seit Beginn der Krise zugenommen, vor allem Stangen sind begehrt.
  • Porno: Rund 300'000 Sex- und Pornosüchtige gibt es in der Schweiz. Das Anbieten von kostenlosen Premiumzugängen in der Krise erhöht das Suchtrisiko.
  • Geldspiel: Knapp 200'000 Personen zeigen ein exzessives Spielverhalten. Das Geldspiel hat sich jetzt ins Internet verlagert – das Suchtrisiko ist dort besonders hoch.
  • Illegale Drogen: Rund 220'000 Personen konsumieren Cannabis. In der Krise ist die Tendenz steigend. Der Konsum von Partydrogen wie Ecstasy ist eingebrochen.
  • Alkohol: Rund 250'000 Personen gelten als alkoholabhängig. Zurzeit wird mehr Alkohol in den Läden verkauft, dafür ist das Rauschtrinken zurückgegangen. (Quelle: Sucht Schweiz)
  • Rauchen: Rund ein Viertel der Schweizer Bevölkerung raucht. Die Zigarettenverkäufe haben seit Beginn der Krise zugenommen, vor allem Stangen sind begehrt.
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