Wildschweine pflügen Parks um und greifen Hunde an – Jetzt haben auch Jogger Angst
Sauerei im Tessin

Seit Jahren versucht der Südkanton den Horden von Wildschweinen Herr zu werden. Mit mässigem Erfolg.
Publiziert: 19.04.2018 um 20:50 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2018 um 20:40 Uhr
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Bereits seit 15 Jahren kämpft man in Locarno gegen die Wildschweinplage. Sogar das Jagdrevier wurde dazu erweitert.
Foto: Erich Kuchling
Myrte Müller

Nicht nur Touristen und Tagesausflügler lieben den Monte Verità – auch zunehmend Wildschweine. Seit gut vier Jahren treiben sie ihr Unwesen oberhalb des Nobel-Orts Ascona TI. Zum Ärger der Gemeinde. 

Grund: In nur drei Nächten haben Wildschweinhorden fast 80 Prozent der Wiese des Parco Parsifal am Monte Verità umgegraben. Nicht nur auf der freien Wiese, auch entlang des Kinderspielplatzes. «Gott sei Dank hat Ascona 2015 die neue Anlage umzäunt, sonst hätten die Wildschweine hier alles kaputt gemacht», sagt Steve Rizzi (41). Der Mann vom Forstamt des Patriziats zeigt auf die aufgewühlte Erde. «Das waren Bachen und ihre Jungen», sagt Rizzi, «jetzt, wo die Erde nach dem Regen aufgeweicht ist, suchen sie nach Blumenzwiebeln, Wurzeln und Insekten.»

Jogger werfen Schlüsselbunde nach Wildsauen

Das grösste Problem: Die Wildschweine verlieren immer mehr die Scheu vor den Menschen, tauchen auch tagsüber an den Spazierwegen auf. «Da wirft schon mal ein Jogger erschrocken mit dem Schlüsselbund nach einer Wildsau, die sich ihm in den Weg stellt», erzählt Steve Rizzi.

Wie gefährlich die Begegnung mit einem Keiler sein kann, erlebte Graziella Duncan (56) vor einigen Wochen. «Wir waren Gassi mit unserem Hund Tina, liessen sie von der Leine», erzählt die Tessinerin, «keine 800 Meter von unserem Haus in Aranno TI entfernt passierte es: Plötzlich hörten wir ein Schnaufen und ein schreckliches Aufheulen.» Graziella Duncan und ihr Mann sehen, wie ein 100-Kilo-Keiler den kleinen Hund im Maul hält.«Tina jaulte und blutete stark. Das Wildschwein hatte sich festgebissen. Mein Mann näherte sich ihm bis auf drei Meter und schleuderte einen Stein. Erst dann liess der Keiler unser Hündchen los.»

Tina wurde vor wenigen Wochen von einem Wildschwein attackiert und fast getötet.
Foto: Zvg

Meist werden Jagdhunde attackiert

Die Diagnose des Tierarztes schockt das Ehepaar: Tina hat eine 20 Zentimeter lange Bauchwunde, muss sofort operiert werden. Zwei Millimeter mehr – und die Lungen wären perforiert. «Das hätte Tina nicht überlebt», sagt Gabriella Duncan. 

Auch Veterinär Mauro Cavalli (56) aus Locarno TI warnt: «Wildschweine können gefährlich werden. Sie beissen kraftvoller zu als Hunde und können wegen ihrer messerscharfen Hauer schlimme Schnittwunden hinterlassen.» In den vergangenen Jahren hatte der Tierarzt immer wieder mal verletzte Hunde auf dem OP-Tisch. «Meist aber waren es Jagdhunde, die attackiert wurden.» Dass ein Wildschwein einen Menschen angreift, davon habe er im Tessin aber noch nie gehört, sagt Mauro Cavalli.

Wildschweine suchen zunehmend in Wohngebieten Unterschlupf

Über 15 Jahre kämpften sie gegen die Wildschwein-Plage, erzählt Matteo Inselmini (42), Jagdhüter des Locarnese. «Um dem Problem Herr zu werden, haben wir das Jagdrevier erweitert», sagt Inselmini, «Wildschweine können im September, im Spätherbst und im Winter gejagt werden.» Seit vier Jahren auch in Ascona TI. Mitten im Ausflugsparadies.

Frisch aufgewühlte Erde am Zaun des Spielplatzes am Monte Verità.
Foto: Yvonne Leonardi

«Da sind nicht nur Profis am Werk», sagt Gianni Terzi (53), «so wurde schon mal versehentlich ein Lama im Garten erlegt oder auf einen Rasenmäher geballert, weil man ihn für einen Hirsch hielt.» Auch der Jäger aus Golino ist sich sicher: «Die Wildschweine suchen zunehmend in Wohngebieten Unterschlupf.» Dort gäbe es Futter. Sein Rat: Zäune bauen!

So eroberten die Wildschweine das Tessin

1981 wanderten die ersten Wildschweine über Italien ins Tessin ein. Seitdem explodierte ihre Population. In den vergangenen Jahren vervierfachte sie sich, die Wildschweine wurden zur Plage. Sie zerstören Weinberge, Maisfelder, Wiesen und Gärten. Und greifen immer wieder Hunde an. Dank Sonderjagden können jährlich 1000 bis 1500 Wildschweine erlegt und ihre Zahl mittlerweile stabil gehalten werden.

1981 wanderten die ersten Wildschweine über Italien ins Tessin ein. Seitdem explodierte ihre Population. In den vergangenen Jahren vervierfachte sie sich, die Wildschweine wurden zur Plage. Sie zerstören Weinberge, Maisfelder, Wiesen und Gärten. Und greifen immer wieder Hunde an. Dank Sonderjagden können jährlich 1000 bis 1500 Wildschweine erlegt und ihre Zahl mittlerweile stabil gehalten werden.

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