Die Olma hatte so schön begonnen. Am Dienstagnachmittag schlendert Massimo Suter (46) über die Schweizer Messe für Landwirtschaft und Ernährung. «Wir hatten soeben den offiziellen Tessiner Stand besucht», erzählt der Präsident von Gastro Ticino, «da sahen wir etwa 100 Meter weiter wieder unsere rot-blaue Tessiner Fahne an einem Stand.»
Der Restaurantbesitzer aus Morcote TI steuert glücklich auf die «Pergola Ticino» zu. Ein überdimensionaler Boccalino aus Pappe hängt einladend über dem Eingang. «Ich war erstaunt, wie sehr unser Kanton auf der Olma präsent war», sagt Massimo Suter. Doch dann sieht er das Schild: Merlot del Veneto. Der Ärger kocht beim stolzen Tessiner hoch.
«Tessin-Liebhaber wurde Merlot-Fusel angedreht»
«Die schenkten billigen Rotwein aus Italien in unsere Boccalini ein. Keinen Tessiner Merlot!», stellt Massimo Suter entsetzt fest. Ein Skandal sei dies, schimpft der Gastro-Präsident, «hier werden Tessin-Liebhaber an den Stand gelockt, um ihnen Merlot-Fusel anzudrehen. Die Betreiber missbrauchen unsere gute Marke, die für Top-Qualität steht, damit die Kasse klingelt. Das ist doch der reinste Betrug!»
«Wie Zürcher Geschnetzeltes mit Schweinefleisch»
Massimo Suter macht Fotos vom Ticino-Fake und setzt sie online auf Facebook. «Für mich ist das wie Zürcher Geschnetzeltes mit Schweinefleisch», sagt der Besitzer des Ristorante della Torre am Luganer See und redet sich in Rage. «Die Betreiber dieses Standes kommen mir vor wie jene Chinesen, die falsche Rolex-Uhren verkaufen.
Was würden die Olma-Gäste sagen, wenn jemand billige italienische Luganiga als
St. Galler Bratwurst ausgeben würde? Das ginge doch auch nicht.»
Als BLICK den Betreiber der «Pergola Ticino» mit den Vorwürfen aus dem Tessin konfrontiert, reagiert dieser stinksauer: «Ich sehe das Problem überhaupt nicht! Dann müsste ich ja jeden Tag auch das frische Brot aus dem Tessin holen. Ich werde den Wein sicher nicht auswechseln. Für mich ist ein Merlot ein Merlot.»
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Tessiner mit italienischen Produkten verschaukelt fühlen. Zur Eröffnung des Alptransit-Tunnels im vergangenen Jahr sponserte Schweiz Tourismus einen Gotthard-Panettone, der in Italien hergestellt und in Luzern verkauft wurde (BLICK berichtete). Und die Tessiner Bäcker guckten in die Röhre.
Bellinzona – Das Tessin gilt als Sonnenstube der Schweiz. Und nun auch als «Schattenstube der Schweizer Wirtschaft».
Wie der Informationsdienst Bisnode in seiner neuen Studie ausführt, ist im Tessin die Zahl der Firmenpleiten im laufenden Jahr so hoch wie in keinem anderen Kanton der Schweiz.
Plus 15 Prozent beträgt der Zuwachs der Firmenkonkurse in den ersten neun Monaten 2017 im Vergleich zum Vorjahr. Besonders starke Pleitezuwächse gibt es laut Bisnode im Tessiner Baugewerbe, Einzelhandel und Autogewerbe.
Gesamtschweizerisch legen die Konkursmeldungen um 3 Prozent zu. Hier sind das Bau- und Gastgewerbe sowie die Handwerksbetriebe derzeit am schlimmsten dran.
Lieferanten hätten ein deutlich höheres Risiko, auf unbezahlten Rechnungen sitzen zu bleiben. | Ulrich Rotzinger
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