Es ist Donnerstag. Punkt 20.17 Uhr peitschen Schüsse durch die Via Odescalchi in Chiasso TI. Ein Mann bleibt regungslos in der Einfahrt zur Tiefgarage eines Plattenbaus liegen.
Die Anwohner hören die Schüsse. Vier oder fünf waren es, sagen sie. Aus dem Wohnhaus traut sich niemand mehr. Einer von ihnen, der gelernte Koch Omar Fumagalli (40), sagt warum: «In dieser Strasse gehst du Ärger besser aus dem Weg. Wenn geschossen wird, versteckst du dich. Hier ist die Bronx vom Tessin!» Koks, Heroin, Crystal Meth, Special K – alles bekomme man kiloweise.
So bleibt der Angeschossene in der Einfahrt liegen. Offenbar hat niemand die Polizei alarmiert. Als ein Bewohner des Blocks mit seinem Audi in die Garage will, übersieht er den Mann am Boden. Der Wagen überrollt das Opfer, schleift es einige Meter mit, hinterlässt eine tiefrote Blutspur. Als endlich gegen 21 Uhr Polizei und Ambulanz eintreffen, ist der Mann tot. Es ist Bruno M.* († 35), ein Portugiese. Er war frisch verheiratet, Vater von zwei kleinen Buben und wohnte in der dritten Etage.
Er sei ein Drogendealer gewesen, sagen die Nachbarn hinter vorgehaltener Hand. Einer, der beim Kokain nicht korrekt abgerechnet habe und dafür nun mit dem Leben bezahlte: Gangsterkrieg im Tessin.
Nur Stunden später werden drei Männer verhaftet. Der Schütze (26) soll ein Italiener brasilianischer Herkunft und ein eiskalter Killer sein. Ticinonews berichtet, im Juni 2014 habe er in Lugano-Paradiso versucht, einen Polizisten totzufahren (BLICK berichtete). Seine Komplizen seien ein Schweizer (26) und ein Rumäne (36). Nach dem Mord ging das Trio in eine Bar. Dann stellten sich die Männer der Polizei. In der Nacht auf heute hat die Tessiner Kantonspolizei einen vierten Tatverdächtigen festgenommen. Der 29-jährige Kosovare aus Bellinzona habe sich bei seinem Anwalt gemeldet – und dieser hat die Polizei verständigt.
Die Schüsse am Donnerstagabend haben die Bewohner der Via Odescalchi alle gehört. «Pam, pam, pam, machte es. Sehr laut», erzählt Anwohner Nicola Vella (20). «Erst dachte ich, es sei nichts Ernstes. Später erfuhr ich, dass der Nachbar unter uns erschossen worden war.» Palmerino Cuda (71) lebt seit über 40 Jahren in der Via Odescalchi. «Früher war es hier friedlich. Jetzt haben wir vis-à-vis ein Bordell, viele Ausländer, immer wieder Schlägereien. Es ist nicht mehr schön, hier zu leben.» Arina Smolenska (39) lebt seit einem Jahr mit ihren Töchtern (14 und 18) im Wohnblock. Die Russin klagt: «Es ist gefährlich hier. Viele Drogenabhängige wohnen im Block. Nachts machst du kein Auge zu. Ich habe schon so oft bei der Gemeinde reklamiert. Doch sie hat mich ignoriert.»