Drei kleine Grenzübergänge hat Monteggio TI: Ponte Cremenaga, Fornasette und Cassinone. Verbunden sind sie mit einem verrosteten Maschendrahtzaun, der mehr Löcher hat als jeder Emmentaler Käse. Der Schlagbaum bleibt oben – auch nachts. Zollbeamte gibt es schon lange nicht mehr. Dafür blüht der Kriminaltourismus. Dem will die Grenzgemeinde nun einen Riegel vorschieben. In einem Brief an Bundesrat und Tessiner Staatsrat fordert Gemeindepräsident Piero Marchesi (38, SVP) endlich mehr Sicherheit.
Die Zahlen sprechen für sich: In den vergangenen sechs Jahren wurde der Piccadilly-Shop am Grenzübergang Ponte Cremenaga fünfmal überfallen. Dreimal gab es Angriffe auf die Raiffeisenbank, allein zwei in diesem Jahr. Im April 2019 versuchten Räuber den Bankomaten zu sprengen. Anfang Juli kaperte eine vierköpfige maskierte Bande einen Geldtransporter der Bank, die Gangster nahmen den Chauffeur mit. Fahrzeug und Geisel wurden wohlauf in Italien gefunden. Von den Räubern fehlt jede Spur.
Bei allen Nachbarn wurde schon eingebrochen
«Bei allen unseren Nachbarn wurde eingebrochen», sagt Stylistin Emanuela Lanni-Boss (60). «Mein Mann hat einen Kerl erwischt, wie er sich an unserer Eingangstür zu schaffen machte, und ihn in die Flucht geschlagen.» Die gebürtige Italienerin ist eine von 882 Einwohnern der kleinen Tessiner Grenzgemeinde.
Die meisten können von Vorfällen berichten, die einem Schauer über den Rücken jagen. Von seiner Wohnung im dritten Stock schaut Franco Balzaretti (62) direkt auf den Übergang Ponte Cremenaga. Das sei das reinste Kino. «Ich habe zum Beispiel die Verhaftung eines Piccadilly-Räubers live miterlebt», sagt der Barbesitzer. «Ein anderes Mal jagten die Beamten einen Dieb, der mit seinem Auto dann gegen einen Mast fuhr. Er hatte unter dem Tessiner Nummernschild ein italienisches Kennzeichen.»
Die Tessiner Grenzregion sei eine der gefährlichsten Ecken der Schweiz, meint Catherine Walter (51). Die Mutter und Hausfrau hatte jahrelang ein Schild «Bissiger Hund» am Gartenzaun, um Einbrecher abzuschrecken. «Seit der Personenfreizügigkeit ist die Zahl der Diebstähle stark gestiegen. Finstere Typen gibt es hier zuhauf. Einmal hielt ein weisser Lieferwagen vor meiner Haustür. Zwei Männer wollten mir eine Alarmanlage verkaufen.» Später habe die Polizei die beiden geschnappt. Es waren Einbrecher, die sich mit dieser Masche in die Häuser einschlichen.
Echter Wachhund statt einfachem Warnschild
Das Schild reicht Catherine Walter nicht mehr – jetzt hat sie einen echten Hund. «Ich fühle mich sicherer – auch wenn ich weiss, dass so ein Hund nicht richtig schützen kann. Denn die Räuber betäuben sie mit Sprays.» Es brauche nicht nur Wachen an den Grenzübergängen, sondern auch entlang der Grenzzäune. Denn viele Kriminelle kämen durch den Wald.
Carlo «Charly» Rondina (57) hatte bislang Glück. Seine Tankstelle steht direkt am unscheinbaren Grenzübergang Cassinone. Überfallen wurde er in 30 Jahren noch nie. Doch wie die Kriminaltouristen ticken, weiss er zur Genüge: «Sie beobachten uns genau. Vor allem wenn wir unsere Dorffeste feiern, stehen Leute Schmiere und flüstern ihren Komplizen, wo die Luft rein ist, um einzubrechen.»
Der Zorn der Einwohner wächst und wächst
Der Volkszorn regt sich in Monteggio. «Die Leute fordern Taten, wollen endlich Schutz», sagt Gemeindepräsident Marchesi. «Wir brauchen 24 Stunden nonstop Überwachung an unseren Grenzübergängen.» Auch mehr Technologie wünsche sich Monteggio wie thermische Kameras und den Einsatz von Drohnen. Das schrieb der Sindaco bereits im Juli an den Bundesrat und den Tessiner Staatsrat. Eine Antwort erhielt er bis heute nicht.
Monteggio aber steht nicht alleine da. Unter Kriminaltourismus leiden auch andere Grenzgemeinden. Und auch sie wollen sich wehren. Piero Marchesi weiss: «Bereits zehn weitere Gemeinden wollen Briefe an den Bund schreiben.»