Dieser Bagger tut, was Bagger eben so tun. Er schiebt und schaufelt, er hebt und dreht. Ein Schreitbagger, wie sie hundertfach im Land herumfuhrwerken, auch Spinnenbagger genannt. Nichts an dieser Maschine auf einer Wiese der ETH Hönggerberg in Zürich scheint aussergewöhnlich. Ausser dass kein Mensch im Cockpit sitzt, das Vehikel offenbar von Geisterhand gesteuert wird.
Mehr als hundert Kilometer entfernt, in einer Halle auf dem Waffenplatz in Thun BE: Ich drücke den Joystick, und das Cockpit dreht eine Pirouette. Nochmals gehebelt, der Schalensitz kippt nach hinten. Ein kräftiger Tritt aufs Gaspedal und los geht die Fahrt mit der Mensch-Maschine! Die Monitore zeigen mir ein Live-Bild der ETH-Wiese, als sässe ich tatsächlich im Bagger und nicht ganz woanders.
Eine Weltneuheit
Mit dem schwenkbaren Cockpit in Thun wird der Zürcher Bagger pilotiert. Das kann als Weltneuheit bezeichnet werden: «Unbemannte geländegängige Mehrzweck-Forschungsmaschine» nennt Mark Höpflinger, Leiter des VBS-Drohnen- und Robotik-Zentrums, die Erfindung, die im SonntagsBlick erstmals gezeigt wird. Laien würden es «ferngelenkter Roboter-Bagger» nennen.
«Weltweit existieren nur zwei Prototypen», sagt Höpflinger nicht ohne Stolz. Monatelang haben seine Leute mit ETH-Kollegen und weiteren Partnern an dem Prototyp getüftelt.
3500 Tonnen Fliegerbomben, Minen und Granaten
Der Grund für ihre Erfindung heisst Mitholz BE. Die Armee will das verschüttete Munitionslager im Kandertal räumen, wie sie vergangene Woche bekannt gab. 170 Menschen werden für zehn Jahre wegziehen müssen. Für sie ist es ein Albtraum, aber auch ein Horror für die Räumungsmannschaften, denn im Schutt liegen noch immer 3500 Tonnen Fliegerbomben, Minen und Granaten.
Manche Sektoren der Bunkeranlage hat seit den 40er-Jahren niemand mehr betreten, tödliche Geschosse sind teils kreuz und quer verteilt. Am falschen Ort zu baggern, könnte eine Kettenreaktion auslösen. «Die Munition macht noch immer, wofür sie vor 80 Jahren hergestellt wurde», deutet Hanspeter Aellig an. Der Oberst im Generalstab plant die Räumung dessen, was seine Vorgänger angerichtet haben.
Mehrere Optionen werden geprüft
Sicher eine Milliarde Franken, so schätzt das Verteidigungsdepartement (VBS), dürfte die Räumung kosten. Um keinen Preis aber dürfen Menschenleben gefährdet werden: «Wir schicken nicht einfach ein Selbstmordkommando los», sagt Aellig. Das VBS prüfe mehrere Optionen zur Bergung der verschütteten Munition. Eine davon ist der Bagger.
Die Thuner Halle der Arma- suisse, Bereich Wissenschaft und Technologie, würde Daniel Düsentrieb gefallen: In einer Ecke steht ein vierbeiniger Laufroboter, offenbar marschbereit. Auf einem Bildschirm ist eine Maschine zu sehen, die wie ein Wurm über den Boden kriecht. Der Rettungswurm kann Verschüttete mit Wasser, Atemluft und Medikamenten versorgen. Höpflinger zeigt auf eine neuartige Drohne: «So eine ist uns kürzlich im Labor abgestürzt.»
Wo es ungemütlich, dreckig und gefährlich wird, sind Roboter gefragt. Bewaffnete Maschinen wie Kampfroboter oder -drohnen sind fürs Zentrum allerdings tabu.
«Wir können Potenziale aufzeigen»
Hier werde vor allem das entwickelt, was auch zur Unterstützung der zivilen Behörden eingesetzt werden könne, so Höpflinger. Besonders das Rettungs- und Katastrophenwesen liefere ein ideales Umfeld für die Robotik: «Wir können Potenziale aufzeigen. Aber nur die Industrie hat die Möglichkeiten, daraus ein Serienprodukt zu machen.» Was den Bagger angeht, gibt es bereits Interesse: Einer der grössten Baumaschinenhersteller der Welt hätte gerne 30 Bodenkontrollstationen bestellt.
Im Januar wurde der ferngesteuerte und mit Panzerstahl armierte Bagger in Zusammenarbeit mit Kampfmittelspezialisten der Schweizer Armee erstmals in Mitholz getestet.
Mit Erfolg, wie ein Testprotokoll belegt: Aus einer geschützten Anlage heraus haben einheimische Baumaschinenführer unter Aufsicht der Spezialisten Reste von Panzer-, Hand- und Stahlgranaten freigelegt – ohne dass jemand dabei gefährdet worden ist.
Fachkraft für die Entschärfung
Ganz ohne Menschen wird es in Mitholz dennoch nicht gehen. Je nach Sprengmittel, das der Bagger mit seinem Löffel, Greifer, Fräser, Hammer oder sonstigem Aufsatz freilegt, muss für die Entschärfung eine Fachkraft her. Die kann ein Entschärfungsroboter sein oder auch ein menschlicher Minenräumer, der je nach Zustand der Munition auch konventionell von Hand arbeitet.
Wichtig sei, so Oberst Aellig, dass der Bagger gesicherte Bereiche schaffe, in denen die Minenräumer arbeiten können. Er blickt Höpflinger an, den Ingenieur und Erfinder. Auch ohne Worte scheint klar, was Aellig denkt: Er ist froh, wenn es im Fall der Fälle nur die Maschine trifft. Dafür wurde sie ja erfunden.
1947 vernichteten drei Explosionen die Hälfte der im Munitionslager Mitholz eingelagerten 7000 Tonnen Munition. Neun Menschen starben, 200 wurden obdachlos. Nun will der Bundesrat das Lager im Kandertaler Dorf räumen.
1947 vernichteten drei Explosionen die Hälfte der im Munitionslager Mitholz eingelagerten 7000 Tonnen Munition. Neun Menschen starben, 200 wurden obdachlos. Nun will der Bundesrat das Lager im Kandertaler Dorf räumen.