Der Fall Carlos machte Hansueli Gürber (65) zum bekanntesten Jugendanwalt der Schweiz. Ein SRF-Bericht über Gürber enthüllte im August 2013, dass der damals 17-jährige Messerstecher Carlos in einem teuren Sondersetting ist.
Man sah Carlos in einer 4½-Zimmer-Wohnung in Reinach BL. «Ich mache dir einen Ingwertee, das tut dir gut», sagt seine Betreuerin. Gürber ordnete das Sondersetting an, inklusive Training beim Thaibox-Weltmeister Shemsi Beqiri. Das Unverständnis war gross und kostete den Zürcher Regierungsrat Martin Graf (62, Grüne) im Frühling 2015 die Wiederwahl.
Gürber ging vor zwei Jahren in Frühpension. «Es ist schön, aus dieser Mühle heraus zu sein», sagt der ehemalige Leiter der Zürcher Jugendanwaltschaft heute. «Es war aber ein toller Job, ich machte ihn mit Leib und Seele.»
Kosten waren im Sondersetting tiefer
BLICK machte den Fall Carlos zum grossen Thema. Jetzt gibt sich Gürber bei einem Treffen bei sich zu Hause in Adliswil ZH entspannt. «Ich habe nichts gegen den BLICK. Ich fand aber den Shitstorm sehr unfair.» Er hätte gern eine Diskussion über das Thema ausgelöst, sagt Gürber. «Es störte mich, dass über die Kosten nicht die Wahrheit gesagt wurde.»
Wohlgemerkt: Die von BLICK publizierten 29'000 Franken für das Sondersetting pro Monat sind unbestritten. Gürber geht es um etwas anderes: Carlos habe vorher 42'000 Franken pro Monat gekostet, sagt er. «In der Psychiatrischen Uniklinik in Basel weigerte man sich, ihn weiter zu behalten.» Auch das Massnahmenzentrum wäre – weil Carlos zu jung war – nicht möglich gewesen. «Ich hatte keine Alternative», sagt Gürber.
Es stört ihn bis heute, wie er dargestellt wurde. Etwa das Foto im BLICK, auf dem Gürber mit einer Schlange um den Hals zu sehen ist. «Die Schlagzeile ‹Sozial-Wahn› war daneben, weil ich nicht einmal Stellung nehmen konnte. Der Eindruck war: Ein Irrer hat etwas irr Teures verordnet.»
Gürber bedauert nur eines
Die Boa ist unterdessen im Alter von 26 Jahren gestorben. «Sie ist friedlich eingeschlafen», sagt Gürber. In seinem Haus hat er weiterhin rund 30 Schlangen und andere Reptilien. Im Garten züchtet er Hühner: Appenzeller Spitzhauben, Seidenhühner, Serama und auch Hawaii-Gänse. In einem Teich hat es Wasserfrösche. Gürber ist bis heute überzeugt: «Ich habe im Fall Carlos alles richtig gemacht.» Nur: «Dass ich ihn in den Film miteinbezogen habe, war ein schwerer Fehler. Damit habe ich vor allem Carlos geschadet.»
Hat er Verständnis für die empörten Reaktionen? «Ja natürlich. Ich muss sagen, es war teuer. Von Verhätschelung kann aber keine Rede sein.»
Die Wohnung sei «schlicht» gewesen. «Carlos war 24 Stunden überwacht, das ist nicht lustig.» Mehr darf Gürber nicht sagen, weil er sonst das Amtsgeheimnis bricht. «Ich hatte nur die Alternative, Carlos aus der Massnahme zu entlassen. Es gab kein Heim, das ihn wollte.»
Über Gürber und seine Arbeit als Jugendanwalt ist diese Woche das Buch «Der Weichensteller» erschienen. Zur Reinwaschung? «Nein, um Himmels willen», sagt Gürber. «Ich wurde angefragt, ob ich mitmache. Da habe ich halt zugesagt. Mein Anliegen ist es noch immer, für unkonventionelle Methoden im Jugendstrafrecht zu werben. Leider sind sie derzeit nicht so in Mode.»
Das Schweizer Jugendstrafrecht sei einzigartig, sagt Gürber. «Der Sühnegedanke steht nicht im Vordergrund. Strafen und Massnahmen sollen erzieherisch wirken.» Jugendliche einfach einzusperren, sei keine gute Lösung. «Dann haben wir nachher nur noch Verbrecher. Sobald es um den eigenen Sohn geht, verstehen das die Eltern.»
Zu Carlos hat Gürber noch losen Kontakt. «Ich geniesse den Ruhestand, reise drei bis vier Mal im Jahr nach Namibia und Botswana. Ich bin fasziniert von den Menschen und der Natur dort.» Er ist zufrieden mit seinem Leben. Er hat fünf Kinder von zwei Frauen. «Ich führte 20 Jahre lang ein Doppelleben mit zwei Frauen. Ich stand immer öffentlich dazu, im Gegensatz zu anderen. Ich habe nie etwas zu verbergen gehabt.»