In Basel-Gundeldingen, von allen Gundeli genannt, feiert die Primarstufe Thierstein ihre Schulweihnacht. Es regnet. Eltern eilen auf die Liesbergermatte, die keine richtige Matte ist, sondern ein Sportplatz aus Kunststoff. Der Ausländeranteil im Gundeli-Quartier beträgt 40 Prozent.
Eine Weihnachtskrippe ist nicht zu sehen, ein Weihnachtsbaum auch nicht. Dafür stehen hier zehn Marktstände. Im Hintergrund leuchten die Adventsfenster des Schulhauses. Gleich geht es los. Das Weihnachtssingen.
Zum Singen sind alle acht Schuljahre angetreten. Über 340 Kinder, keine Dispensationen. Mit Begeisterung machen die Kinder mit. Das Gros der Lieder hat nichts mit Weihnachten zu tun. «Wir verzichten auf besonders religiöse Lieder, solche mit Gottpreisungen und derlei Passagen», sagt Karin Vaneck, welche die Multikulti-Schule seit sechs Jahren leitet.
Beim Weihnachtssingen im Zürcher Kreis 3, in der Turnhalle des Schulhauses Aemtler, sieht es anders aus. Hier gibt es keine Hinweise auf eine religiös neutrale Liederauswahl. «Was soll das bedeuten?», singen Kinder und Lehrer. Dann preisen sie den «Stern über Bethlehem».
Aber am meisten freuen sich die rund 400 Kleinen – vom Kindergarten bis zur sechsten Klasse –, als eine Lehrerin «Feliz Navidad» ankündigt. Wohl nicht, weil sie den Liedtext besonders toll finden oder besser Spanisch können als Deutsch, sondern einfach des rassigen Rhythmus wegen.
Kind muss nicht mitsingen
Es ist für alle Kinder obligatorisch, am Weihnachtssingen teilzunehmen. Ganz ohne Kompromisse geht es aber auch im Schulhaus Aemtler nicht. «Wenn ein Kind – oder dessen Eltern – mit dem Inhalt eines Weihnachtsliedes Probleme hat, dann muss es nicht mitsingen», sagt Co-Schulleiter Felix Fürer.
Auch beim Christbaum entschieden sich Fürer und seine Schulleitungskollegin Lilian Hurschler für einen Mittelweg. «Wir haben im Eingangsbereich einen geschmückten Baum aufgestellt. Auf eine Krippe mit Jesuskind haben wir aber verzichtet», so Hurschler.
In Basel sangen die Kindergartenkinder ihre Lieder bis vor ein paar Jahren noch in der Kirche. Aus pragmatischen Gründen, denn die Heiliggeistkirche war der einzig genügend grosse Raum in der Nachbarschaft. Eine Handvoll Eltern verbot ihren Kindern jedoch die Teilnahme. «Damals kam die Diskussion auf, ob das ganze Weihnachtssingen abgeschafft werden soll», sagt Schulleiterin Vaneck.
Weil neben dem Integrations-Thema noch andere organisatorische Fragen auftauchten, brauchte die Schule Thierstein neue Ideen. Und erfand vor drei Jahren den Adventsmarkt. Das ganze Quartier sollte miteinbezogen werden. Nun gleicht die Schulweihnacht einem Volksfest. Kaum religiös aufgeladen, vom christlichen Ursprung mal abgesehen. «Nur Halligalli soll es aber nicht sein, sondern auch sinnlich», betont Vaneck.
In einer Feuerschale lodern die Flammen, die Kinder singen Lieder von Laternen und vom Frieden. Die Eltern stehen dicht drumherum. Albanisch, Türkisch, Tamilisch – am Adventsmarkt sind allerlei Sprachen zu hören. Viele Frauen tragen Kopftücher. «Die Hälfte der Schüler spricht nicht richtig Deutsch. Um die 70 Prozent haben keinen Schweizer Pass», sagt Vaneck. Bei Elterngesprächen sei häufig ein Dolmetscher dabei.
Dolmetscher sind Alltag
Sprachprobleme kennt auch das Schulleitungs-Duo in Zürich. Dolmetscher gehören hier ebenfalls zum Alltag. Damit das Aemtler die Kosten für solchen integrationsbedingten Zusatzaufwand decken kann, erhält die Schule zusätzliche Mittel vom Kanton. Sie ist eine von 118 sogenannten Quims-Schulen im Kanton. Quims steht für «Qualität in multikulturellen Schulen». Unterstützungsberechtigt sind Schulen, deren Fremdsprachenanteil höher ist als 40 Prozent.
Beim Weihnachtssingen überlässt der Kanton Zürich die Schulen auch nicht sich selbst. In einem Papier des Volksschulamts heisst es: «Themen auf dem Hintergrund der christlichen Kultur und ihrer Traditionen sind im Schulunterricht erlaubt und entsprechen der Schultradition im Kanton Zürich.»
Und weiter: «Die Schülerinnen und Schüler sind in ihren religiösen Gefühlen zu respektieren. Sie dürfen nicht zu bekenntnismässigen oder religiösen Handlungen angehalten werden.»
Trotz der kantonalen Leitlinien haben die Schulen am Ende grossen Entscheidungsspielraum. Jede Schulleiterin und jeder Schulleiter, jede Lehrerin und jeder Lehrer muss selber wissen, was in der eigenen Schule und Klasse funktioniert und was nicht.
Die Lösung gibt es nicht. Gefragt sind Fingerspitzengefühl, Kompromissfähigkeit und ein breiter Rücken. Smadar Hill unterrichtet seit 17 Jahren an der Schule Thierstein. Sie weiss: «Es ist sehr schwierig, dass es allen passt.»
Die Lehrpersonen versuchen es trotzdem. Im Kollegium haben sie abgestimmt, wie sie die Feier durchführen wollen. Nun gibt es etwa Hotdogs: mit Wienerli aus Schweinefleisch für die einen, mit Pouletfleisch oder vegetarisch für die anderen. Der Glühwein für Erwachsene enthält Alkohol. «Es muss für alle passen. Aber wir leben in der Schweiz», so die Lehrerin.