Heute wäre es undenkbar. Sie sitzen im TGV nach Paris oder im Flixbus nach München und müssen auf halber Strecke die Uhr umstellen. Was komisch klingt, war für Schweizer tatsächlich mal Realität. Von 1980 bis 1981 war die Schweiz sechs Monate lang eine Zeitinsel – mitten in Europa.
Während alle unsere Nachbarn in der Nacht auf den 6. April die Zeiger um eine Stunde vorstellten, tickten die Uhren in unseren Stuben einfach weiter. Sommerzeit? Nicht mit uns!
Die Folgen waren vielfältig wie unliebsam: Die SBB mussten nach einem Notfallplan fahren. Kostenpunkt: 15 Millionen Franken. Der Nachtexpress aus Wien etwa, der jeweils morgens um 6.33 Uhr die Grenze zur Schweiz überquerte, blieb dort eine Stunde stehen, um die Zeitdifferenz auszugleichen, berichtete «Der Spiegel» damals.
Grenzgänger musten plötzlich zwischen unterschiedlichen Zeitzonen hin und her pendeln. In der Bevölkerung enervierte man sich derweil über die undurchsichtigen Öffnungszeiten.
Blamage für Bundesbern
Grund für das Schweizer Kuriosum von 1980/81 ist eine politische Posse, die bis heute ihresgleichen sucht.
In den 1970er-Jahren beschliessen die EU-Mitgliedstaaten, die Sommerzeit vereinheitlicht auf Frühling 1980 einzuführen. Bundesrat und Parlament ziehen nach und nicken die einheitliche Sommerzeit ohne grössere Debatte ab.
Dann aber bekommen sie unerwartet Gegenwind: Fünf Jungbauern aus dem Zürcher Oberland wehren sich gegen den Zwang zur Zeitumstellung und lancieren ein Referendum.
Breite Unterstützung erhalten sie zunächst keine, weder von der SVP noch vom Schweizerischen Bauernverband. Niemand glaubt an einen Erfolg der jungen Bauern.
Diese lassen sich nicht entmutigen: Im Oktober 1977 reichen sie nach drei Monaten beinahe 83'000 Unterschriften ein, mehr als doppelt so viele wie nötig.
Am 28. Mai 1978 verwirft das Volk das neue Zeitgesetz mit 52,1 Prozent Nein-Stimmen – eine Riesenblamage für Bundesbern.
Gegen den Volkswillen
Die Jungbauern hatten gewonnen, die Politik musste sich fügen: Im April 1980 verweigert sich die Schweiz der Einführung der einheitlichen Sommerzeit in Europa.
Doch lange währt der Sieg der Bauern nicht. Schon nach einem Jahr als Zeitinsel wird im Sommer 1981 die Zeitumstellung eingeführt – gegen den Volkswillen.
Als Gründe führt eine Sonderkommission einerseits die Isolation an, denn schnell erweist sich der Sonderfall Schweiz als teure Hypothek. Andererseits greift plötzlich das Argument des Energiesparens.
«Sommerzeit ist Unsinn»
Grosse Proteste gegen die 180-Grad-Wende beim Zeitgesetz bleiben aus. Ende März 1981 werden auch Schweizer Uhren um eine Stunde vorgestellt – bis heute.
Spätere Initiativen und Vorstösse gegen die Sommerzeit, lanciert von den Nationalräten Christoph Blocher (SVP/ZH) und Yvette Estermann (SVP/LU), scheitern.
Trotzdem sind die Sommerzeit-Gegner seither nicht verstummt. Für viele Schweizer ist die Zeitumstellung ein Ärgernis. Immer wieder verlangen sie ihre Abschaffung.
Auch die fünf Jungbauern von damals konnten sich die letzten 35 Jahre nicht mit der Zeitumstellung anfreunden. «Die Sommerzeit ist nach wie vor ein Unsinn», sagte Peter Meister, einer der Referendums-Initianten, kürzlich dem «Zürcher Oberländer».
Wie seine Freunde würde er sich erneut einem Vorstoss gegen die Zeitumstellung anschliessen. Grosse Mühe, die heute benötigten 100'000 Unterschriften zu sammeln, hätten sie kaum.
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