Sie untersuchte Corona-Lungen
«Das Virus war und ist ein Killer»

Kirsten Mertz hat Lungen von toten Covid-19-Patienten untersucht. Die Pathologin und ihr Team sind dabei auf wichtige Erkenntnisse für die Therapie der Krankheit gestossen.
Publiziert: 18.10.2020 um 00:06 Uhr
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Aktualisiert: 27.11.2020 um 10:53 Uhr
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Die Pathologin Kirsten Mertz vom Kantonsspital Baselland in Liestal war eine der ersten, die bereits im März Obduktionen an verstorbenen Corona-Patienten vorgenommen hat.
Foto: Thomas Meier
Interview: Valentin Rubin

Sie war eine der Ersten, die im März Obduktionen an ver­storbenen Covid-19-Patienten durch­führten. Seither hat Kirsten Mertz, leitende Ärztin in der Pathologie des Kantonsspitals Baselland, gemeinsam mit ihrem Team mehrere Dutzend Lungen von ­Corona-Toten untersucht. Die Ergebnisse wurden diese Woche in ­einer Studie veröffentlicht. Mertz’ Erkenntnisse ebnen den Weg für eine angepasstere und spezifische Therapie bei Corona-Patienten. Bei den rasant steigenden Fall­zahlen, der wachsenden Nervo­sität im Gesundheitswesen und ­einem nach wie vor fehlenden Impfstoff ist das wichtiger denn je.

Frau Mertz, als Pathologin untersuchten Sie die befallenen Lungen von verstorbenen Covid-19-Patienten. Was haben Sie herausgefunden?
Man kann zwei Gruppen von Pa­tienten ausmachen. Die erste ­Gruppe stirbt in einem frühen Stadium an einer enorm hohen Viruslast in der Lunge. Das Immunsystem schafft es da leider nicht, das Virus zu unterdrücken. In der zweiten Gruppe sieht es aber ganz anders aus: Der Körper dieser Patienten kann das Virus zunächst besiegen – doch sind danach massive Schäden an Lunge und anderen Organen zu erkennen. Solche Patienten sterben erst nach mehreren Tagen oder ­Wochen.

Warum sterben diese Menschen?
Auch wenn diese Patienten die ­Phase mit akutem Virusbefall über­leben, bilden sich in der Folge ­starke Entzündungen im Gewebe. Denn der Körper reagiert zu heftig auf den Eindringling. Das Virus mag zwar abklingen, die Entzündungen aber zerstören das Gewebe und die Organe. Das kann ebenso tödlich sein wie das Virus selbst.

Entzündungen sind Teil der körpereigenen Immunreaktion. Wie kommt es, dass der eigene Körper für den Patienten so ­gefährlich wird?
Das Virus infiziert ­Zellen in der Lunge und verbirgt sich da­rin. Die infizierten Zellen werden vom Immunsystem zerstört. Dadurch wird das Virus zwar entfernt, leider ­gehen dabei aber auch die Zellen kaputt. Das ist, wie wenn Ihnen der Zahnarzt alle Zähne zieht, weil Sie Karies haben. Dann ist zwar die ­Karies weg, Ihre Zähne aber auch.

Ihre Studie, die Sie diese Woche veröffentlicht haben, trägt den Titel «Molekulares Profil eines Killers». Ist das Coronavirus überhaupt noch ­derselbe Killer wie im Frühjahr, als wir alle davon überrascht wurden?
Das Coronavirus war und ist ein Killer. Auch in Zukunft wird das so sein. Zwar gab es leichte Mutationen, insgesamt hat sich das Virus selbst aber nicht gross verändert. Die Risikogruppen sind immer noch dieselben, vor allem ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen. Aber niemand hat die Garantie, von einem schweren Krankheitsverlauf verschont zu bleiben. Immerhin: Unser Wissen darüber hat sich schnell verändert und verbessert.

Wie können uns Ihre Unter­suchungsergebnisse helfen?
Wir haben ja bereits Medikamente und wissen besser als noch vor ­einem halben Jahr, was wirkt und was nicht. Mit den beiden Gruppen, die wir in unserer Untersuchung gefunden haben – die, welche früher, und jene, die später daran sterben –, können wir nun besser einschätzen, welche Medikamente zu welchem Zeitpunkt am besten wirken. Das ist eine grosse Hilfe. Remdesivir zum Beispiel, das antivirale Medikament, das auch Donald Trump erhalten hat, hat sicher eine bessere Wirkung, wenn man es früh genug ­verabreicht.

Wovon hängt denn ein schwerer Krankheitsverlauf aktuell ab?
Sicher von der Dosis. Wer nur eine kleine Menge des Virus abbekommt, hat meist auch weniger Symptome und muss gar nicht erst ins Krankenhaus. Daher nützen ­übrigens auch Masken sowie die Distanz- und Hygienemassnahmen so gut! Sie schützen uns zwar nicht zu 100 Prozent vor einer Infektion. Aber sie sorgen auf jeden Fall dafür, dass wir weniger Viren aufschnappen. Und mit weniger Viren wird ein schwerer Krankheitsverlauf ­unwahrscheinlicher.

Die aktuellen hohen Infektions- und tiefen Todeszahlen würden für diese Annahme sprechen.
Genau, wir haben sehr viele An­steckungen, aber weniger Tote als im Frühjahr. Doch wie sich die Lage entwickelt, können wir erst in einigen Wochen sagen. Denn nebst der Viruslast spielen auch die eigene Gesundheit und die Verfassung des Immunsystems eine Rolle. Und das funktioniert bei jedem und jeder von uns anders.

Wenn bessere Behandlungen zum richtigen Zeitpunkt viel ­bewirken können: Sind wir dann überhaupt noch auf einen Impfstoff angewiesen?
Die Impfung wird keinesfalls überflüssig, da bei geimpften Personen das Virus vom Immunsystem sofort abgefangen wird. Wir müssen weiter ausharren, bis wir einen wirk­samen Impfschutz haben. Leider weiss niemand, wann das sein wird. Wir haben ein schwieriges Winterhalbjahr vor uns. Diese Zeit müssen wir mit möglichst umfassenden therapeutischen Mitteln und durch das konsequente Einhalten der Schutzmassnahmen überbrücken. Auf diesem Weg haben wir schon viel erreicht.

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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