Während eine Mehrheit der Schweizer zu dick ist – laut Angaben des Bundesamts für Statistik 53 Prozent – hungert sich eine Minderheit im schlimmsten Fall zu Tode. In der Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen ist die Magersucht (Anorexia nervosa) eine der gefährlichsten Erkrankungen. Betroffen sind durchweg junge Frauen bis 25. Nur einer von zehn Patienten mit einer Essstörung ist männlich – wobei die Beratungsstellen eine leichte Zunahme konstatieren. Das männliche Pendant hat bereits einen Namen: Bigorexia, das suchtartige Antrainieren von Muskelmasse.
Bei Essstörungen ist die Schweiz an der Spitze in Europa
Insgesamt leiden in der Schweiz etwa vier Prozent der Bevölkerung an einer Essstörung, mehr als im europäischen Ausland, wo der Durchschnitt bei 2,5 Prozent liegt. Oft eine Begleiterscheinung der Magersucht ist die Bulimie: Nach Heisshungerattacken, bei denen Unmengen von Nahrung verschlungen werden, wird das Gegessene erbrochen.
Oft sind es geringfügige Auslöser
Junge Mädchen sind besonders gefährdet für Magersucht, denn das weibliche Schönheitsideal schreibt eine schlanke Linie vor. Die Pubertät, wenn sich der Körper schnell verändert und das Selbstwertgefühl noch labil ist, ist an sich ein schwieriger Lebensabschnitt. Kommen noch andere Faktoren hinzu wie Mobbing, Scheidung der Eltern, Gewalterfahrungen, kann das einer Essstörung den Weg bereiten. In Blogs wie «jourvie.com» erzählen junge Magersüchtige, wie sie in die Essstörung hineingeschlittert sind. Oft sind es für den Aussenstehenden geringfügige Auslöser, zum Beispiel die dumme Bemerkung einer Klassenkameradin («Du bist ganz schön schwabbelig»).
So war es bei Courtney Grimshaw (24), die als Teenager von ihrer Schwester immer wieder «geneckt» wurde, sie hätte «einen zu grossen Hintern». Grimshaw steigerte sich in ein lebensgefährliches «Diätprogramm», ass nur noch 350 Kalorien täglich und trainierte wie wild im Fitness. Die Auswüchse ihres Magerwahns dokumentierte sie auf Social-Media-Kanälen. «Ich hatte nur einen Gedanken: noch mehr abzunehmen», erinnert sich die Kalifornierin. Dank Therapien und Klinikaufenthalten hat sie heute die Krankheit überwunden.
Je früher die Behandlung, desto besser die Prognose
Für Magersüchtige bedeutet das Hungern der einzige Weg, Anerkennung und über den Körper Selbstkontrolle zu erlangen. Einer Magersucht vorausgehen kann eine Neigung zu psychischen Erkrankungen wie Depression. Laut einer Studie «Prävalenz von Essstörungen in der Schweiz» der Uni Zürich weisen Menschen mit Essstörungen «deutlich häufiger ernsthafte psychische Erkrankungen» auf.
Mit der Magersucht einher geht eine verzerrte Körperwahrnehmung. Selbst auf 45 Kilos heruntergehungerte Patientinnen beklagen sich noch, sie seien zu dick. Fachleute betonen, dass Magersucht eine ernste Krankheit ist. Sie geht von allein nicht weg. Je früher die Behandlung einsetzt, desto besser die Prognose. Besteht die Magersucht weniger als zwei Jahre, können zwei Drittel bis drei Viertel der Betroffenen gesund werden.