Selbstversuch in WhatsApp-Gruppe
Schockbericht aus dem Magersuchts-Chat

Wenig essen, viel Sport machen. Früher vor allem in Internetforen, spornen sich magersüchtige Mädchen heute in WhatsApp-Gruppenchats an, immer mehr und immer schneller abzunehmen. Mit fatalen Folgen.
Publiziert: 24.07.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 22:00 Uhr
Die Mädchen im WhatsApp-Gruppenchat «Princess» treiben sich gegenseitig noch stärker in den Magerwahn.
Foto: Keystone

Sie sind zwischen 13 und 16 Jahre alt, bei den Jüngeren von ihnen hat die Pubertät gerade erst begonnen. Ihre Körper sind irgendwo auf dem Weg zwischen Mädchen und Frau, verändern sich beinahe täglich.

Doch die elf Mädchen im «Princess»-Gruppenchat auf WhatsApp wollen nichts mit ihrem Körper zu tun haben, würden am liebsten jemand anders sein. Jemand, der hübscher ist als sie und vor allem jemand, der dünner ist als sie.

Seit langem schliessen sich Mädchen und junge Frauen mit einem gestörten Verhältnis zu Ernährung und Körpergewicht im Internet in sogenannten Pro-Ana-Foren zusammen. Ana steht dabei für Anorexia nervosa, für Magersucht. Um gegenseitige Hilfe oder Unterstützung im Kampf gegen die Krankheit geht es dort nicht. Im Gegenteil: Die Teenager spornen sich an, weniger zu essen, mehr Sport zu treiben, sich öfters zu übergeben. Sie treiben sich gegenseitig noch tiefer in den krankhaften Magerwahn.

Wie der «Beobachter» schreibt, ist diese Bewegung mittlerweile vom Internet aufs Handy übergeschwappt. Eine Journalistin ist einem solchen Gruppenchat auf WhatsApp beigetreten. Aufgenommen wird nur, wer die Regeln befolgt: Täglich höchstens 800 Kalorien zu sich nehmen, wöchentlich mindestens 400 Gramm abnehmen, jeden Dienstag eine Anregung zum Abnehmen für die anderen schicken, jeden Sonntag den aktuellen BMI mitteilen – inklusive Beweisfoto.

«Sie werden pausenlos daran erinnert»

Gruppenleiterin Lara (15) wiegt auf eine Grösse von 1.70 Meter 49,6 Kilo. Sie will sich auf 40 Kilo runterhungern. «Ich habe mich schon immer fett gefühlt», schreibt sie. Aline (13) ist untergewichtig. Sie hasst ihr Aussehen, ihre Persönlichkeit, ihr Gewicht. Jessica (13) ist «die Dickste» im Chat. Mit einem BMI von 18,9 ist sie knapp normalgewichtig. «Ich bin faul, hässlich und undiszipliniert und hasse meine Figur. Vor allem meine Beine und meine Brüste, meine Hände und meinen Po», schreibt sie. Ein selbstzerstörerischer Rundumschlag.

Der Austausch in den Gruppenchats ist noch gefährlicher als der in den Internetforen. «WhatsApp ist ein sehr schnelles Medium. Jugendliche werden durch die Nachrichten pausenlos an das Thema erinnert und ständig negativ beeinflusst. Sich abzugrenzen fällt so noch schwerer», sagt Dagmar Pauli, Chefärztin beim Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienst des Kantons Zürich im «Beobachter». Eine der Regeln in der Gruppe untermauert diese Aussage: «Zwischen 7 und 22 Uhr mindestens 3x melden».

Der Druck, die strengen Regeln einzuhalten, ist enorm. Keine will aus dem intimen Kreis, in dem sie von allen verstanden wird, ausgestossen werden. «Diese Gruppe ist meine Familie», schreibt Lara. «Ich kann mir sonst nirgendwo Hilfe holen.»

Tummelplatz für Pädophile

Auf den Pro-Ana-Seiten können Jugendschützer teilweise eingreifen, die Smartphone-Communitys bleiben privat. Sich mit einer falschen Identität einzuschleichen, ist allerdings nicht schwer. Das machen sich Pädophile zunutze. Die «Beobachter»-Journalistin trifft auf den «Pro-Ana-Coach» Lennard. Er will ihr helfen, schnell abzunehmen und sie «zu Höchstleistungen bringen».

Allerdings nicht ohne Gegenleistung. «Du darfst dir meinen Lohn aussuchen», schreibt er. «Ich nehme auch Nacktbilder.»

«Meine Tage kommen jetzt schon nur alle zwei Monate», schreibt Jessica im «Princess»-Chat. «Meine Haare fallen aus. Meine Tage hatte ich schon ewig nicht mehr», ergänzt Lara. «Ich wäre vor drei Wochen fast eingeliefert worden», schreibt sie weiter. «Wenn die meine Narben sehen würden, käme ich sofort in die Klapse. Haha.» Aber aufhören will sie nicht. Das gilt auch für die anderen im Chat.

Sie wollen weitermachen, bis ihre Rippen und Hüftknochen «mega rausstechen», bis sie «feenhaft» sind, «nicht schön dünn, sondern extrem dünn». (lex)

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