Rätsel-Morde Teil 4: Simon Kuhn (37) fand die Leiche des vermissten Mädchens
Ylenia (†5) starb durch Gift

Wochenlang suchten Polizisten und Privatpersonen die verschwundene Ylenia. Bis ein Zigarettenstummel den Weg zu ihrer Leiche wies.
Publiziert: 29.01.2017 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:50 Uhr
Ylenia (†5) starb durch Gift
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Rätsel-Morde Teil 4: Simon Kuhn (37) fand die Leiche des vermissten Mädchens:Ylenia (†5) starb durch Gift
Walter Hauser und Roland Gamp

Simon Kuhn (37) betritt den Hartmannswald in Oberbüren SG. Hier fand er am 15. September 2007 die Leiche von Ylenia (†5). «Dieser Tag war ein tiefer Einschnitt in meinem Leben», sagt der Informatiker.

Mit Stecken und Schaufel suchte er den Wald ab und wunderte sich: Am Boden lag der Stummel einer spanischen Zigarette. Kuhn kämpfte sich weiter durchs Dickicht, ehe er direkt beim Wildzaun entlang der Autobahn einen Hügel entdeckte.

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«Ich schaute Ylenia ins Gesicht»

Laut amtlichem Protokoll ist es 12.11 Uhr mittags. Der Informatiker nimmt die Schaufel zur Hand und räumt Erde weg. Da entdeckt er eine Mädchenleiche, die er sofort erkennt. «Ich sah die blonden Haare und ein Glückskettchen um den Hals.» Die Augen des Mädchens sind gegen den Himmel gerichtet. «Ich schaute Ylenia ins Gesicht», sagt Kuhn. Er ruft sofort die Polizei.

Unweit der Fundstelle befindet sich heute ein Gedenkstein, umrahmt von Windlichtern, Engelsgestalten und kunstvoll verzierten Kerzen. Noch immer kommen täglich Menschen an diesen Ort, der eine Andachtsstätte für Ylenia geworden ist.

Im Hartmannswald fallen Schüsse

Das fünfjährige Mädchen kehrte am 31. Juli 2007 nicht von einem Besuch des Hallenbads in Appenzell zurück. Die Mutter suchte nach ihm und wendete sich an die Polizei. Diese ging vom Schlimmsten aus: Ylenia musste entführt worden sein.

Am Mittag desselben Tages fallen im Hartmannswald im 30 Kilometer entfernten Oberbüren SG Schüsse. Ein Mann feuert ohne ersichtlichen Grund auf einen 43-jährigen Spaziergänger, verletzt ihn an der Achsel.

Ylenia war ein aufgewecktes Mädchen, dessen hoffnungsvolles Leben ein schreckliches Ende nahm.
Foto: Keystone

Der Schütze hatte sich selbst gerichtet

Am Nachmittag findet die Polizei einen weissen Kastenwagen mit spanischem Kennzeichen im etwa drei Kilometer entfernten Billwilerwald. Ein solches Fahrzeug hatten Zeugen auch beim Hallenbad in Appenzell beobachtet. Einen Tag später entdeckt die Polizei unweit des Wagens die Leiche des Schützen. Er hatte sich mit seiner Pistole selber gerichtet.

Sofort war klar, dass er mit der Entführung Ylenias etwas zu tun hatte. Denn im Billwilerwald fand man den Velohelm des Kindes sowie seinen Rucksack. Und in der Nähe des Ortes, wo der Mann auf den Spaziergänger geschossen hatte, lagen der Tretroller des Mädchens und eine Gartenschaufel. Eine DNA-Analyse bestätigte: Ylenia wurde im Kastenwagen verschleppt. Doch vom Mädchen fehlte jede Spur.

Von Aesch hatte zwei Gesichter

Der Fahrer des Kastenwagens war Urs Hans von Aesch (†67). Mit seiner Frau war er 1990 nach Spanien ausgewandert. Zuvor lebte er in Iselisberg TG und reiste als Aussendienstmitarbeiter in der ganzen Schweiz herum. Von Aesch hatte zwei Gesichter: Einerseits konnte er sehr liebenswürdig und gewinnend auftreten, anderseits galt er auch als Sonderling, als Querkopf und Besserwisser, der die Menschen im Innersten verachtete. Schon einmal hatte er wegen Erpressung und angedrohter Kindesentführung eine Strafe abgesessen.

Die Entführung im Sommer 2007 hatte er offensichtlich vorbereitet. Klebeband, Fesselzeug und das Betäubungsmittel Toluol hatte sich von Aesch drei Wochen vor der Tat beschafft.

Polizei erhielt über 2000 Hinweise

Mehrere Hundert Polizisten und auch Freiwillige durchkämmten mit Spürhunden während Wochen die Wälder in der Umgebung. Über 2000 Hinweise gingen bei der Polizei ein. Auch Simon Kuhn schloss sich einem der privaten Suchtrupps an. Immer wieder suchte er vergebens. Bis zu jenem Tag Mitte September. Der Informatiker hatte an diesem Vormittag eine seltsame Vorahnung. «Ich sagte zu meiner Freundin noch, dass ich Ylenia finden werde», sagt er.

Für ihn war immer klar, dass sie im Hartmannswald sein musste. Denn dort hatte von Aesch auf den Spaziergänger geschossen. Offensichtlich im Glauben, dass er beim Verstecken des Opfers beobachtet und ertappt worden war, mutmasst Kuhn heute.

Wie die Obduktion ergab, war das Kind nicht sexuell missbraucht oder Opfer physischer Gewalt geworden. Todesursache war Vergiftung durch eine Überdosis Toluol. Dennoch war es für die Polizei eine sexuell motivierte Tat. Der Körper des toten Mädchens war nackt. Zudem fanden Ermittler in von Aeschs Haus in Spanien Fotos, die auf eine pädosexuelle Neigung hinwiesen. Und handschriftliche Aufzeichnungen von ihm mit entsprechenden Schilderungen.

Von Aeschs Schuld ist nicht bewiesen

Abschliessend liess sich dennoch nicht klären, was von Aesch mit der Entführung des Kindes bezwecken wollte. Was hatte ihn zu dieser Tat getrieben? War er Mitglied eines Menschenhändler-Rings? Ein pädophiler Triebtäter, der noch weitere Kindesentführungen auf dem Gewissen hatte?

In den 1980er-Jahren verschwanden in der Schweiz mehrere Kinder, einige von ihnen wurden später tot aufgefunden. Alleine im 30-Kilometer-Umkreis der Handlungsorte im Fall Ylenia wurden drei Kinder vermisst: 1981 Peter P.* in Wattwil SG, 1984 Peter R.* in Mogelsberg SG, 1986 Edith T.* aus Gass-Wetzikon TG. Von ihnen fehlt bis heute jede Spur.

Konkrete Hinweise auf Verwicklungen von Aeschs in diese Fälle gibt es nicht. Trotz erdrückender Indizienlast ist nach seinem Tod nicht einmal absolut sicher, dass er der Mörder von Ylenia war. Gewissheit besteht einzig darüber, dass er das Kind entführt hat. Einen eindeutigen Beweis dafür, dass er es getötet hat, gibt es nicht. Der Mord an Ylenia bleibt ungeklärt.

Schmähbriefe nach dem Leichenfund

Für Simon Kuhn begann nach dem Leichenfund eine schwierige Zeit.
Es gab zweierlei Reaktionen. Er erhielt Briefe des Dankes für seine Beharrlichkeit, auch von Angehörigen des Opfers. Für die Mutter Ylenias war es eine Erleichterung, wenigstens ungefähr zu wissen, was mit ihrem Kind passiert war. So konnte sie von der Tochter Abschied nehmen.

Doch Kuhn erhielt auch Schmähbriefe und hasserfüllte Telefonanrufe. Er habe ins Handwerk Gottes gepfuscht und den Seelenfrieden des Kindes gestört. Was Kuhn besonders schmerzt: Einzelne warfen ihm Geldgeilheit vor. «Dabei habe ich lukrative Angebote von Fernsehstationen ausgeschlagen und Geld für gemeinnützige Zwecke gespendet.» Doch es kam noch schlimmer: Kuhn wurde sogar verdächtigt, er habe mit dem Tod von Ylenia zu tun. Darum habe er gewusst, wo die Leiche lag.

Alle diese Vorwürfe sind längst vom Tisch. Für den 31. Juli 2007 hatte Kuhn ein hieb- und stichfestes Alibi an seinem Arbeitsplatz. Weder zu von Aesch noch zu Ylenia hatte er irgendeine persönliche Beziehung.

Heute sagt Kuhn: «Ich war getrieben und beseelt vom Gedanken, dass die entführte Ylenia gefunden und ihr Schicksal geklärt werden muss. Und würde auch heute wieder genau gleich handeln wie damals.»

* Namen der Redaktion bekannt

 

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