Samstagnachmittag, Flughafen Zürich Kloten. Punkt zwei Uhr fängt ein Mann mit blauem Käppi an zu singen. Plötzlich fallen rund um ihn Menschen in sich zusammen, bleiben regungslos liegen. Von den oberen Stockwerken werden Transparente entrollt, Papierflugzeuge geworfen. Reisende bleiben verwundert stehen, einige klatschen.
Vor ihren Augen findet ein sogenanntes Die-in statt. Die Beteiligten: Aktivistinnen der Klimastreiks und der Extinction Rebellion. In ihrer Mitte: Liedermacher Linard Bardill (62). «Die jungen Menschen brauchen unsere Solidarität. Sie demonstrieren nicht gegen uns, sondern für eine Veränderung», sagt er.
Die Streikenden reisen aus der ganzen Schweiz an
Mit der Aktion wollen die Jungen auf das Fliegen als wichtigen Treiber in der Klimakrise aufmerksam machen.
Zwei Stunden vor der Aktion, Bahnhof Oerlikon. Die Streikenden sind aus der ganzen Schweiz angereist. Einer von ihnen ist Arthur* (27). Er informiert die anderen darüber, dass es Polizei-Kontrollen geben könnte. Darum werde man in verschiedenen Trams an den Flughafen fahren. «Sprecht nicht über die Aktion. Geht shoppen oder einen Kaffee trinken.» Man will nicht auffliegen, damit die Aktion später Wirkung hat. «Wir haben ein Dialogteam, das bei der Polizei klarstellt, dass es eine friedliche Aktion ist», sagt Arthur. Bevor die Gruppe sich auflöst und paarweise das Tram in Richtung Flughafen besteigt, stellt er nochmal klar: «Wer sich nicht wohl fühlt dabei, kann es sagen, kein Problem.» Aber alle wollen mit. Über Chats bleibt Arthur in Kontakt mit den anderen. Am Flughafen sitzt er in ein Café. Kurz vor 14 Uhr nimmt er einen letzten Schluck Kaffee und steht auf.
Wenige Minuten später liegt er neben Freunden und Fremden am Boden, steht nach dem Song von Bardill auf und ruft: «What do we want?» Die Antwort kommt prompt und laut: «Climate Justice!» Dann verschwinden die Aktivistinnen so schnell und leise, wie sie gekommen sind – ohne Zwischenfälle. «Wir halten uns an unseren Kodex: Keine Gewalt», sagt Arthur.
Aktionen der Aktivisten werden auffälliger
Trotzdem: Die Aktionen der Klimajugend werden auffälliger. Im Mai hatte sie im SonntagsBlick angekündigt, radikaler zu werden. Ihr Motto: «Wir eskalieren.» Keine leeren Worte: Erst letzte Woche blockierte das Collective Climate Justice die Eingänge von Grossbanken, weil diese «die Klimakrise mitfinanzieren». Dabei landeten etliche Personen hinter Gittern.
Auch mit dem Flugstreik treffen die Aktivisten einen wunden Punkt: Die Schweiz ist ein Land von Vielfliegern. Alleine im Juni hoben vom Zürcher Flughafen 2.89 Millionen Passagiere ab. Tendenz steigend. Gibt es also keine Flugscham hierzulande?
Umweltökonom: «Klimajugend hat Einfluss»
Darüber zu urteilen, sei noch zu früh, sagt Philippe Thalmann, Umweltökonome an der Eidgenössisch Technischen Hochschule Lausanne. Gleichzeitig glaubt Thalmann auch nicht, dass der Flugverkehr alleine wegen der Flugscham genügend abnehmen wird. Viel mehr brauche es ein Umdenken. Dabei könnten Aktionen wie jene am Flughafen helfen. «Die Klimajugend hat einen Einfluss. Sie hat alle Jugendlichen und ihre Eltern zu mehr Rücksicht für das Klima bewegt, und der Klimapolitik einen neuen Schwung verliehen. Dank ihr hat auch eine Flugticketabgabe eine reale Chance.»
Die Klimastreikenden selbst rufen mit ihrer Aktion zum totalen Flugverzicht auf – zumindest für ein Jahr: Wer sich auf der von ihnen gestern lancierten Website «flugstreik.earth» einträgt, verpflichtet sich, 2020 nicht zu fliegen. *Name geändert
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