Melanie Fritsche (29), Leiterin des Asylheims in Arbon TG
«In diesem Job muss man Biss haben»

Sie betreut 31 Asylsuchende, lehrt ihnen Deutsch und schickt sie zum Förster. Asylbetreuerin Melanie Fritsche gibt BLICK einen Einblick in ihren spannenden, aber anstrengenden Job.
Publiziert: 26.06.2013 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 28.09.2018 um 19:31 Uhr
1/16
Melanie Fritsche (29), Leiterin des Asylheims in Arbon TG.
Foto: Daniel Ammann
Von Michael Spillmann

Deutschunterricht im Durchgangsheim für Asylsuchende in Arbon TG. Betreuerin Melanie Fritsche (29) verteilt Blätter. «Haben Sie die Übung verstanden?», fragt die ausgebildete Oberstufenlehrerin.

Ghedafi (33) aus dem Sudan muss ein Telefongespräch vorspielen, mit Ruth (26) aus Eritrea. «Hallo Schatz, kommst du mit mir in die Disco?» Alle lachen. «Es ist meistens sehr lustig bei uns», sagt Fritsche.

Vor zweieinhalb Jahren ging das Heim auf. Anwohner wehrten sich, erfolglos. «Und heute gibt es Nachbarn, die sehr wohlwollend sind», sagt Fritsche. Sie leitet das Heim seit zwei Jahren.

31 Asylsuchende sind zurzeit dort untergebracht, in fünf Wohnungen. Frauen, Männer, Kinder. Aus Eritrea, aus Syrien oder Libyen, Iran, Irak, dem Sudan oder der Türkei.

«Ich werde zu einer Bezugsperson. Die erste Person, die sie in der Schweiz wahrnehmen.» Nach etwa sechs Monaten müssen die Gäste auf Zeit in der Regel weiter, in Gemeinde-Unterkünfte, dort auf den Asylentscheid warten.

Falsche Vorstellungen

Erzählt Fritsche neuen Bekannten vom Job, ist das Erstaunen oft gross. Wie kann man nur dort arbeiten? «Das Thema ist von grossem öffentlichen Interesse. Viele Leute haben aber eine falsche Vorstellung von meiner Arbeit. Es gibt natürlich schwierige Situationen. Aber es ist nicht so schlimm, wie man sich das vorstellt.»

Sie werde auch oft gefragt, ob es denn nicht schwierig sei als Frau. «Im Gegenteil, der Grossteil der Asylsuchenden ist respektvoll und hilfsbereit. Ich hatte noch nie das Gefühl, dass mir jemand an die Gurgel will.»

Trotzdem, es läuft nicht immer harmonisch. Es gab Lärmklagen, es gab Streit, es gab Schlägereien, die Polizei musste einschreiten. Als im Sommer 2012 der Flüchtlings­ansturm aus Nordafrika kam, schien die Situation zu eskalieren. Ladendiebstähle, Klagen über Belästigungen, die Volksseele kochte.

«Massregelungen zeigten kaum Wirkung. Man fühlt sich ohnmächtig. Aber das waren nur zwei Monate, die Lage hat sich beruhigt.» Damals kam auch die Polizei ins Heim. «Die Polizisten müssen ihren Job machen, und ich mache meinen – und er gefällt mir.»

Zwölf Franken pro Nachmittag

Nach einer Stunde ist der Deutschkurs vorbei. Heute ist Zahltag für das Beschäftigungsprogramm, für die Waldarbeit mit dem Förster oder den Einsatz im Naturschutzgebiet. Es gibt zwölf Franken für einen Nachmittag.

Die Asylbewerber können von Montag bis Donnerstag am Beschäftigungsprogramm teilnehmen, einmal pro Woche gibt es Sport.

«Die Menschen hier sind engagiert, sie wollen Deutsch lernen, melden sich für die Waldarbeit», sagt Fritsche. Aber: «Ich will nichts schönreden. Es sind auch nicht alle Asylsuchenden super.»

Es gibt zum Beispiel Sackgeld-Abzug, wenn jemand den Ämtliplan nicht beachtet, wenn ­einer den Deutschkurs schwänzt, gibt es das Schuldepot nicht zurück. «In diesem Job muss man Biss haben, man muss auch mal streng sein.»

Fritsche arbeitet für die Stiftung Peregrina im Auftrag des Kantons. Zur Arbeit kommt sie um 8.30 Uhr. Mittagspause macht sie in ihrem Büro. Alleine oder mit dem Praktikanten.

«So ist das System»

«Es braucht eine richtige Mischung aus Distanz und Nähe. Was die Leute durchgemacht haben, weiss ich meistens nicht. Mit der Zeit kennt man Teile der Lebensgeschichte Einzelner, aber man muss sich auch abgrenzen.»

Ob ein Asylentscheid schliesslich positiv oder negativ ausfällt, bekommt Melanie Fritsche meist nicht mit. «Einige der Asylsuchenden dürfen bleiben, andere nicht, so ist das System.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?