Im Genfer Gelöbnis für Ärzte steht: «Die Gesundheit meines Patienten soll oberstes Gebot meines Handelns sein.» Seit dem letzten Samstag stellt Krebspatient Anton Lieberherr (71) diesen Schwur in Frage. Er fühlt sich vom Spital Walenstadt SG im Stich gelassen.
Seit Jahren leidet Lieberherr an Leukämie. Am Samstag hatte er starke Schmerzen. Sein Bauch war geschwollen und steinhart. Er sagt zu BLICK: «Es sah aus wie bei einer Schwangeren im neunten Monat.» Also ruft er im Spital Walenstadt SG an und bittet um eine Behandlung. Telefonisch wird ihm mitgeteilt, dass er umgehend kommen soll.
Chefarzt unterband Lieberherrs Behandlung
Zusammen mit seiner Frau Cecile (69) trifft er etwa um elf Uhr im Spital ein. Auf der Notfallstation wird er von einer Ärztin untersucht. Ihre Diagnose: Infolge der Krebsbehandlung sammelte sich im Bauch Wasser an. Laut Lieberherr will die Medizinerin die Flüssigkeit ablassen. «Doch dann kam der Chefarzt und brach die Behandlung ab», so Lieberherr.
«Der Chefarzt sagte mir: ‹Wissen Sie, es ist Samstag.›» Der St. Galler ist erbost: «Man wollte mir lediglich ein Bett fürs Wochenende anbieten.» Deshalb zog er das Spitalhemd wieder aus und fuhr nach Hause. «Das Wasser in meinem Bauch drückte auf die Nieren und die Leber», sagt er. «Ich konnte weder richtig sitzen noch liegen. Darum verbrachte ich das Wochenende stehend.»
Dabei fühlte sich der Krebspatient bis zum Eklat immer gut aufgehoben im Spital. Doch der Vorfall vom Wochenende gibt ihm zu denken: «Das Verhalten verletzte mich. Ich kann doch nichts dafür, dass ich am Samstag krank bin.» Seine Frau ergänzt: «Einen Notfall muss man doch jederzeit annehmen!»
Sieben Liter Wasser im Bauch
Am Montag wird der Eingriff dann vorgenommen. Aus dem Bauch werden sieben Liter Wasser abgelassen. Laut Lieberherr entschuldigte man sich im Spital mehrmals dafür, dass er so lange warten musste. Er sagt: «Die Situation war riskant. Das Wasser hätte auf meine Lunge oder das Herz drücken können.» Und etwas nachdenklicher: «Zum Glück bin ich heute noch hier.»
Seine Frau ergänzt: «Wir leben in Quinten am Walensee. Unser Haus ist nur mit dem Schiff erreichbar.» An einen Notfall will sie gar nicht denken: «Bis die Ambulanz bei uns ist, wäre es vielleicht zu spät.» Sie stellt klar: «Das Spital Walenstadt ist wichtig für unsere Region. Doch dafür muss auch die Leistung stimmen.»
«Wir bedauern das Missverständnis»
BLICK konfrontierte den behandelnden Chefarzt Stefan Drechsel mit dem Vorwurf. Er erinnert sich an den Patienten und erklärt: «Hier liegt ein Missverständnis vor, das wir bedauern.» Drechsel räumt ein: «Wir sind am Samstag weniger stark besetzt, was aber normal ist.»
Laut Spital behandelte man Lieberherr aus diesem Grund nicht umgehend ambulant. Der Chefarzt stellt klar: «Deshalb boten wir ihm ein Bett an und hätten den Eingriff vermutlich noch am Samstagabend durchgeführt.» Er betont: «Unser Bedauern über das Missverständnis teilte ich Herrn Lieberherr bereits persönlich mit.»