Er muss einer der schlechtesten Geschäftsmänner der Schweiz sein: Marcello N.* (42), eidgenössisch diplomierter Betriebswirtschafter HF und Leiter des Altersheim Forstegg in Sennwald SG. In vier Jahren trieb er das hoch rentable Altersheim praktisch in den Ruin – trotz sehr guter Auslastung und geringer Investitionen.
Bei N.s Amtsantritt 2015 herrschten noch goldene Zeiten. Sein Vorgänger hinterliess N. 2,4 Millionen Franken Reserve. Und die Heimtaxen, der Betrag, den Senioren pro Tag für die Betreuung im Altersheim zu zahlen haben, lag damals noch nicht auf der höchsten Stufe. Hinzu kamen eingespielte Teams dank tiefer Personalfluktuation.
Es waren tolle Bedingungen auch für Ernst Reich (65): Er war während 17 Jahren Chef des Hausdienstes im Heim, leitete ein vierköpfiges Team, das für die Hauswartung, Wäscherei und Gartenarbeiten zuständig war.
Langjährige Mitarbeiter auf die Strasse gestellt
Bergab ging es mit dem Forstegg aber unmittelbar nach N.s Antritt. Und Reich muss als Erster dran glauben : «Ich wurde von N. ins Büro zitiert. Dort hat er mir aus heiterem Himmel einen neuen Arbeitsvertrag vor die Nase gelegt: Degradierung, weniger Stellenprozente, weniger Lohn und vereinbarte Frühpensionierung – oder dann die sofortige Freistellung», sagt Reich. Begründung: Der Hausdienst müsse professionalisiert werden.
Reich lässt sich nicht darauf ein und wird von N. kurzerhand rausgeworfen. «Ich konnte nicht glauben, dass er mich so kurz vor meiner Pension einfach auf die Strasse gestellt hat – noch heute weiss ich nicht, warum!», sagt er.
Marcello N. wirft noch weitere langjährige Angestellte raus. Unter anderem den Küchenchef und zwei Frauen von der Wäscherei, die bis dahin 25 Jahre lang fürs Heim tätig waren.
Bei den Kündigungen geht N. immer gleich vor: Entweder müssen die Mitarbeiter einen massiv schlechteren Arbeitsvertrag unterschreiben – oder sie bekommen die Kündigung und sofortige Freistellung. Im Nachgang musste die Gemeinden mehreren geschassten Mitarbeitern als Entschädigung drei zusätzliche Monatslöhne zahlen sowie deren Anwaltskosten.
Mit den Kündigungen macht Marcello N. Platz für seine Freunde aus dem Dorf. An Ernst Reichs Stelle im Hausdienst setzt er den Kommandanten der Sennwalder Feuerwehr ein – dort ist Marcello zufällig Leutnant. Als Stellvertreter wird ein Kumpel von N. angestellt. Und sogar Marcello N.s Ehefrau kriegt einen neuen Job im Sekretariat.
Der Hausdienst wird danach kräftig aufgeblasen – die Abteilung zählt heute doppelt so viele Stellen wie zu Zeiten von Reich. Geleistet wird aber offenbar weniger. Für Gartenarbeiten, Reparaturen und Zimmerreinigungen werden externe Firmen beauftragt. «Wir machten das früher alles selber», sagt Ernst Reich dazu.
Jährlich hohe Verluste im Forstegg
Die Betriebskosten des Heims gehen sofort durch die Decke. Und N.? Der versucht die Misere zu vertuschen und manipuliert dafür die Bilanzen des Heims. Er versteckt über eine halbe Million Franken an Lohnkosten in den Jahren 2016 und 2017 in den Debitoren, rechnete sie also dem Guthaben an. Das bestätigt die Geschäftsprüfungskommission der Gemeinde gegenüber BLICK. Aber auch trotz dieses billigen Tricks verpulvert N. innert vier Jahren praktisch die gesamten 2,4 Millionen Franken Reserven.
Den Schlamassel ausbaden müssen nun die 35 Senioren dort, indem sie hohe Heimtaxen zahlen. Kostete der Monat bei niedrigster Betreuungsstufe im Jahr 2015 noch 3390 Franken, müssen Senioren in Sennwald heute 4050 Franken zahlen.
In der Schweiz zahlen Bewohner die Betreuung, Pflege und Pension in einem Alters- und Pflegeheim selber. Dabei gilt: Die Betreuung und Pension werden komplett von den Bewohnern getragen, bei den Pflegekosten übernimmt die Krankenkasse den grössten Teil.
Ihren Teil der Kosten für den Aufenthalt im Heim müssen die Senioren mit ihrem Einkommen aus AHV-Rente und Pensionskassen-Rente decken. Reicht der nicht, wird auch das Vermögen dafür veräussert. Dabei gilt die Freigrenze von 37'500 Franken – bei Alleinstehenden.
Ist das Vermögen eines Heimbewohners aufgebraucht, übernimmt die Sozialhilfe via Ergänzungsleistungen die Kosten – und somit indirekt auch der Steuerzahler.
Flavio Razzino
In der Schweiz zahlen Bewohner die Betreuung, Pflege und Pension in einem Alters- und Pflegeheim selber. Dabei gilt: Die Betreuung und Pension werden komplett von den Bewohnern getragen, bei den Pflegekosten übernimmt die Krankenkasse den grössten Teil.
Ihren Teil der Kosten für den Aufenthalt im Heim müssen die Senioren mit ihrem Einkommen aus AHV-Rente und Pensionskassen-Rente decken. Reicht der nicht, wird auch das Vermögen dafür veräussert. Dabei gilt die Freigrenze von 37'500 Franken – bei Alleinstehenden.
Ist das Vermögen eines Heimbewohners aufgebraucht, übernimmt die Sozialhilfe via Ergänzungsleistungen die Kosten – und somit indirekt auch der Steuerzahler.
Flavio Razzino
Der Sennwalder Gemeinderat unter Gemeindepräsident Peter Kindler (63) wurde früh vor dem Treiben von N. gewarnt – tat aber nichts. So machte Rentner Louis Grandchamp (68) per Leserbrief in der Lokalpresse bereits im Juni 2018 öffentlich, in welchem Stil langjährige Mitarbeiter von N. auf die Strasse gestellt wurden. Kindler und N. bekommen in derselben Ausgabe Platz, die Vorwürfe empört zurückzuweisen.
Und Eduard Jäger fragte öffentlich entgeistert, wie ein Heimleiter, der so katastrophal geschäftet, so lange seinen Job behalten darf. Und warum N. trotz mehrfacher Bilanzmanipulation straffrei davonkommt. Jäger: «Im Dorf ist doch schon lange klar, dass in diesem Heim etwas nicht stimmen kann.»
Marcello N. wird geschützt
Dass die Gemeinde viel zu spät reagiert hat, räumt heute auch Kindler gegenüber BLICK ein. «Ich habe mich immer von N. überzeugen lassen, dass alles gut kommt», sagt er. Und doch stellt er sich schützend vor Marcello N.
So wollten einzelne Mitglieder der GPK und des Gemeinderats N. wegen der Bilanzfälschung anzeigen. Die Mehrheit in den Gremien stelle sich aber dagegen. «Wir haben von einer Anzeige abgesehen, weil wir N. ein solches Verfahren nicht zumuten wollen», sagt Kindler zu BLICK.
N. selber will sich nicht zu den Vorwürfen äussern. Seine Stelle als Heimleiter im Forstegg hat er unterdessen selber gekündigt. Er will mit seiner Familie im Mai ins Tessin ziehen und sich dort beruflich «neu orientieren».
* Name geändert