Zwei schwarze Mercedes donnern mit übersetzter Geschwindigkeit dem Dorfausgang von Schwarzenbach SG entgegen. In einer leichten Linkskurve kommt eines der Autos während eines Überholmanövers von der Strasse ab und kracht mit über 150 km/h in eine Steinmauer.
Tonnenschwere Steine werden durch die Luft geschleudert. Danach schlittert das Wrack zurück auf die Hauptstrasse, wo es Sekundenbruchteile später mit 73 km/h vom zweiten Mercedes gerammt wird.
Anklage wegen fahrlässiger Tötung
Aussergewöhnlich: In beiden Autos sitzen Frauen am Steuer. Während die Bosnierin Selma Z.* (†25) bei dem heftigen Unfall Ende März 2017 ihr Leben verliert, kommen ihre Schweizer Freundin Martina F.** (27) und ihr Beifahrer im zweiten Unfallwagen mit dem Schrecken davon.
Nun, fast drei Jahre nach dem Crash, muss sich die Überlebende in der kommenden Woche vor dem Kreisgericht Wil SG verantworten. Die Staatsanwaltschaft fordert für Martina F. unter anderem wegen fahrlässiger Tötung eine Haftstrafe von 4½ Jahren.
Der Vorwurf der Anklage: Martina F. habe sich vor dem Todesdrama ein Raserrennen mit Selma Z. geliefert. «Ein Rennen? Das kann ich mir nicht vorstellen», sagt die Mutter (47) der Toten zu BLICK.
Ihr macht vielmehr das Verhalten von Martina F. zu schaffen. Diese soll nach dem Unfall ihren Ex-Freund angerufen haben, damit dieser ihren Mercedes bergen kommt. Wollte sie abhauen?
Mutter der Toten fordert gerechte Bestrafung
«Ich weiss es auch nicht», sagt die Mutter von Selma Z. ratlos. «Die ganze Geschichte macht mich nicht wütend, sondern einfach nur unglaublich traurig. Ich wünsche mir, dass sie ihre gerechte Strafe erhält.»
Die beiden jungen Frauen hatten sich schon von Kindesbeinen an gekannt und galten als beste Freundinnen. Vor dem Unfall, der sich gegen Mitternacht ereignete, waren die beiden in Wil im Ausgang, wo sie anscheinend tief ins Glas schauten.
Bei Coiffeuse Martina F. wurden 1,1 Promille, bei der im Firmenauto ihres Vaters verstorbenen Lidl-Verkäuferin Selma Z. gar 1,7 Promille Alkohol festgestellt. Und, wie der Verteidiger von F. in einem Communiqué schreibt, seien bei der Verunfallten auch noch THC im Blut und ein Abbauprodukt von Kokain im Blut gefunden worden.
Verteidigung bestreitet Raserrennen
Die Beschuldigte habe ihren Mercedes noch abgebremst, als sie gemerkt habe, dass sie von Selma Z. überholt werde. «Es trifft darum nicht zu, dass ein Fahrzeugrennen stattfand», so der Anwalt. Darüber hinaus basiere die Anklageschrift «in wesentlichen Punkten auf Interpretationen, die nicht zutreffen».
Die Eltern der Verunfallten Selma Z. treten im Gerichtsverfahren als Privatkläger auf und fordern eine Entschädigung von 40'000 Franken. Das Geld soll gespendet werden, wie die Mutter zu BLICK sagt. Für Martina F. gilt die Unschuldsvermutung.
*Name bekannt
**Name geändert