Ein Video brachte alles ins Rollen: Im Boccia-Club einer Gaststätte in Wängi TG sitzen 15 Männer an einem langen Tisch. Es ist ein Mafia-Treffen der `Ndrangheta. Einer ergreift das Wort. A. N.* (68) spricht von Ehre, Respekt, Tradition. Der Pate tauft neue Mitglieder, befördert ältere in höhere Ränge des Clans. Alle stammen aus dem kalabrischen 2166-Seelen-Dorf Fabrizia (I). Dann kommt der Boss zur Sache. A. N. fordert: «Verkauft Drogen, Kokain, Heroin, alles.» Er könne jeden Tag zehn bis 20 Kilo liefern (BLICK berichtete).
Was die Mafia-Runde damals nicht ahnt: Das Hinterzimmer ist verwanzt. Eine versteckte Kamera filmt alles mit. Seit 2010 haben die prominenten Mafia-Jäger Nicola Gratteri und Antonio de Bernardo die Frauenfelder Zelle im Visier. Mithilfe der Schweizer Behörden gelingt es ihnen, die Mafiosi 2011 zu bespitzeln.
Mafiosi in erster Instanz verurteilt
Ende August 2014, drei Jahren nach der Lauschaktion der sogenannten Operation «Helvetia», wird das Video in den Medien veröffentlicht. Die Frauenfelder Zelle ist zerschlagen. Es folgen Verhaftungen in Kalabrien und in der Schweiz, schliesslich die Auslieferung der Thurgauer Mafiosi.
Jetzt geht der Schlag gegen die Frauenfelder Mafia in die Endrunde. Nachdem der Pate und sein Vize A. R.* (74) in zweiter Instanz zu zwölf und acht Jahren verurteilt wurden, gab es auch für neun weitere `Ndrangheta-Mitglieder Haftstrafen zwischen zehn und 13 Jahren.
Am Dienstag, den 26. März, wurden im kalabrischen Locri in der ersten Instanz die Mafiosi Brunello N.* (53) und Rocco Antonio C. (64) zu je 13 Jahren, Cosimo L. *(60) und Angelo R.* (60) zu je zwölf Jahren Knast verurteilt. Giovanni M.* (43) erhielt elf Jahre, seine Komplizen Francesco L.* (46), Giovanni D. (42), Sandro I. (40) und Giulio N. (52) je zehn Jahre. Nur einer, Cosimo G. (49) wurde freigesprochen.
Niemand in Frauenfeld ahnte, wer die «Mitbürger» in Wirklichkeit waren
Die Mafiosi lebten jahrelang unauffällig im Raum Frauenfeld TG. Niemand ahnte, dass sie zu Italiens gefährlichster Mafia gehörten. Am 5. Oktober 2017 wurden die Männer von den Schweizer Behörden am Grenzübergang in Chiasso TI der italienischen Justiz übergeben. In der Hoffnung, dass sie nie wieder in die Schweiz zurückkehren.
A. N. und R. A. wurden vom Kassationsgericht in Rom am 29.11.2019 letztinstanzlich vollumfänglich freigesprochen.
*Namen geändert