Erntehelfer müssen auf dem Bau schuften
55 Stunden arbeiten zum Knechtslohn

Ein Bauer aus Frauenfeld TG stellt landwirtschaftliche Hilfskräfte an, um sie dann auf Baustellen seiner Baufirma arbeiten zu lassen. Auch mit dem Arbeitsrecht nimmt es der Landwirt offenbar nicht so genau.
Publiziert: 23.05.2016 um 00:00 Uhr
|
Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:53 Uhr
1/5
Ausgebeutet: Marcin Ziembla (l.) und Slavomir Cuchran erheben schwere Vorwürfe gegen den Thurgauer Bauern G.
Foto: Toini Lindroos
Vinzenz Greiner

Slavomir Cuchran (42) heuerte 2012 bei Bauer G.* im Bezirk Frauenfeld an. Laut Vertrag als «landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter». «Doch zu 90 Prozent habe ich auf Baustellen geschuftet», berichtet der Slowake. «Und nicht zwischen den Reben, Kirschbäumen oder beim Vieh von G.» Cuchran legt BLICK Arbeitsverträge, Abrechnungen und weitere Dokumente vor. Fotos belegen, wie er auf Baustellen Steinplatten verlegt oder in einer Kiesgrube einen Bagger steuert. Der Vater zweier Töchter hat eine Sechs-Tage-Woche. Ab und zu muss er auch am Sonntag auf dem Hof von G. Tiere füttern.

Cuchran wirft dem Bauern Verstösse gegen den Arbeitsvertrag vor: «G. führt seinen Hof, um die Leute dort anzustellen, aber dann auf seinen Baustellen arbeiten zu lassen.»

Zunächst war der Slowake auf dem Bauernhof von G. einquartiert. Dafür zog dieser ihm monatlich 990 Franken ab – auch als Cuchran längst anderswo wohnte. Einen korrekten, regelmässigen Lohn bekam Cuchran selten. Mal kam das Geld zu spät, mal war es zu wenig. Im Jahr 2015 bekam Cuchran statt zwölf monatlicher Löhne von knapp 2740 Franken nur acht überwiesen.

Ende 2015 gabs Streit mit G., Cuchran erhielt die fristlose Kündigung. Arbeitslosengeld bekam der Slowake fortan aber nicht. Grund: Die Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau hat den Arbeitgebernachweis von G., dass Cuchran beim ihm beschäftigt war, nie erhalten. Das geht aus einem E-Mail der Kasse hervor.

Kein Einzelfall

Der Slowake Cuchran ist kein Einzelfall. BLICK sprach mit zwei weiteren Ex-Mitarbeitern von G. Auch sie legen Lohnabrechnungen, Arbeitsverträge und Briefe vor. Auch sie seien von G. beschissen worden, sagen sie.

Bauer G. führt neben dem Hof auch einen Baubetrieb. Hier war der Pole Marcin Ziembla (28) angestellt – als Fahrer. Als ihn das Steueramt Wochen nach seiner Anstellung im Juli 2015 fragte, ob er arbeitslos sei, fiel er aus allen Wolken. Ziembla legte der Behörde seinen Arbeitsvertrag vor. «Dort machte man dann grosse Augen», sagt Ziembla. G. hatte ihn offenbar nicht als Ange­stellten gemeldet. Auch dieses Arbeitsverhältnis ging in die Brüche. Dem Polen blieb eine Geldforderung von G. für «grundloses Fernbleiben».

BLICK konfrontierte Bauer G. mit den Vorwürfen seiner früheren Mitarbeiter: G. rechtfertigt Cuchrans Arbeit auf den Baustellen damit, dass der Slowake mehr Lohn bekommen habe als in der Landwirtschaft üblich. Die Unterbringungskosten habe er darum weiter abgezogen, weil der Slowake ohne zu fragen «plötzlich ausgezogen» sei.

G. bestätigt aber, Cuchran nicht angemeldet zu haben. «Cuchran arbeitet überall gegen mich», rechtfertigt sich G. Den Polen Ziembla habe er sehr wohl beim Steueramt gemeldet. Er zeigt einen Brief des Steueramtes – allerdings mit Datumsstempel August.

Löhne sind pünktlich zu bezahlen

Für Arbeitsrechtler Thomas Geiser (63) ist klar: «Löhne sind pünktlich und spätestens Ende Monat zu bezahlen.» Dass ein landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter auf Baustellen arbeite, sei unzulässig. «Wenn ein Arbeitnehmer nur einen Tag auf einer Baustelle arbeitet, muss er zu den dort geltenden Konditionen arbeiten.» Dazu gehört eine Höchstarbeitszeit von 50 oder 45 Stunden – nicht wie 55 in der Landwirtschaft. Unter Umständen gilt ein Gesamtarbeitsvertrag. Dann hätte Cuchran mindestens 4477 Franken bekommen müssen, 177 Franken mehr als im Vertrag vereinbart.

Dem Thurgauer Baumeisterverband ist G. bekannt. Wegen eines laufenden Verfahrens der Paritätischen Berufskommission will man sich nicht äussern. Auch die Gewerkschaft Unia hat G. im Visier, wie sie erklärt.

Cuchran ist mit den Nerven am Ende: «Niemand in der Slowakei glaubt mir, dass in der Schweiz so etwas möglich ist.»

* Name der Redaktion bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?