Am späten Donnerstagnachmittag passiert es. Eine riesige Lawine kracht den Berg runter, direkt auf das Hotel Säntis in der Schwägalp zu. Reisst Bäume mit sich und begräbt mehr als zwanzig Autos unter meterhohem Schnee.
Im Hotel Säntis bereiten sie gerade alles für das Nachtessen vor, als erste Scheiben unter dem Druck der 300 Meter breiten Lawine bersten. Das Restaurant des Hotels wird sofort mit Schnee gefüllt, drei Menschen werden verletzt. Nur durch ein Wunder endet der Lawinen-Schock nicht in einer Tragödie.
Die grosse Frage jetzt: Warum sah das niemand kommen?
Dass in diesem Gebiet Lawinen runter gehen, ist nicht neu. Aber noch nie habe sich eine an genau diesem Hang gelöst, sagt Anton Sonderegger, Sprecher der Kantonspolizei Appenzell Ausserrhoden.
Katastrophe zeichnete sich früh ab
Warum aber wurde die drohende Gefahr nicht früher erkannt? Denn die Katastrophe hatte sich angebahnt. «Es war nicht so, dass es gestern innert kurzer Zeit erheblich viel Neuschnee in der Schwägalp gegeben hat», sagt etwa Cédric Sütterlin vom Wetterinformationsdienst Meteonews.
Der grosse Schnee kam bereits am 5. Januar. 30 Zentimeter an einem Tag. Am 8. Januar kamen weitere 35 Zentimeter hinzu, am 9. Januar weitere 32 Zentimeter Neuschnee. Am Donnerstag, zum Zeitpunkt des Lawinenniedergangs, war die Schneedecke nach weiteren 20 Zentimeter Neuschnee rund 130 Zentimeter dick.
Höchste Warnstufe bereits am Vortag
Laut dem Institut für Schnee und Lawinenforschung galt für das Gebiet Schwägalp am 8. Januar die Lawinenwarnstufe 3 – «erhebliche Gefahr». Sie wurde am Tag vor dem Lawinenniedergang aber bereits auf die Stufe 4 angehoben – «grosse Gefahr». Spätestens jetzt hätte im Hotel höchste Alarmstimmung herrschen müssen.
Denn: Das Hotel Säntis, das dort 2015 neu gebaut wurde, liegt in einem Lawinengefahrengebiet. Für Teile des Hotels gilt gar die zweithöchste Gefahrenstufe.
«Zuständig für Massnahmen ist die Hotelbetreiberin, die Säntis Schwebebahn AG», sagt Margrit Müller, Gemeindepräsidentin von Hundwil AR. «Sie wurde bereits im Baubewilligungsverfahren auf die Gefahren hingewiesen», sagt sie. Wer hier baut, ist für die Sicherheit seiner Gäste verantwortlich, so Müller.
Etwa indem die Betreiber das Hotel bei zu grosser Lawinengefahr frühzeitig evakuieren. Oder aber gezielte Lawinensprengungen durchführen. Beides wurde nicht gemacht. Warum?
«Nie mit einer solchen Lawine gerechnet»
Bruno Vattioni, Geschäftsführer der Säntis Schwebebahn AG: «Wir haben zwar Wanderwege gesperrt, aber niemals damit gerechnet, dass eine Lawine das Hotel treffen könnte. So was ist in den letzten 85 Jahren noch nie passiert», sagt er zu BLICK.
Heisst: Man liess sich im Lawinengefahrengebiet von einer Lawine überraschen.
Natürlich werde man Konsequenzen aus dem Ereignis ziehen müssen. «Was für welche das sind, kann man heute noch nicht sagen», so Vattioni. Zumal die Säntis Schwebebahn AG täglich die Lawinensituation um den Säntis neu bewertet. «Wir haben viel Erfahrung mit Lawinen, aber hier sprechen wir von einem Jahrhundertereignis, das selbst Fachleute nicht auf dem Schirm hatten.»
Zu weiteren Fragen will sich Vattioni nicht äussern. «Das Schweizerische Schnee- und Lawineninstitut und die Kantonspolizei beschäftigen sich derzeit mit der Frage, wieso eine solche Lawine entstehen konnte», sagt er.