Offener Brief des Churer Bistumsprechers Giuseppe Gracia über das Verbot der Aktion «Bäte fürs Läbe»
Obwalden, ich gratuliere!

Aus Angst vor Gegendemos hat der Obwaldner Regierungrat einen Marsch von Abtreibungegner am Bettag, 17. September, in Flüeli-Ranft verboten. Recht so, findet der Churer Bistumsprechers Giuseppe Gracia - mit ironischem Unterton.
Publiziert: 01.09.2017 um 17:46 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 11:48 Uhr
Will Ruhe: Aktueller Regierungsrat von Obwalden.

Lieber Regierungsrat,

ich gratuliere Ihnen!

Im schönen Obwalden haben Sie eine an einem Feiertag geplante Aktion verboten, die «Bäte fürs Läbe» heisst und gegen die Abtreibung auftritt. Eine politische Aktion, die an einem Feiertag nichts zu suchen hat.

Dahinter stecken antifeministische Kräfte, deren Plan es war, in Obwalden nicht nur Gottesdienst zu feiern, sondern medienwirksam die Tötung Ungeborener anzuprangern. Angesichts dieses Vorhabens war mit Gegendemos zu rechnen: von Frauenrechtlern, die zwar zu den Guten gehören, aber an Feiertagen lauter werden können als die Religiösen.

Lieber Regierungsrat, Sie haben richtig entschieden: gegen die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit und für die öffentliche Ruhe.

Ich finde überhaupt, die Schweiz sollte ruhiger werden. Das Ausüben der Grundrechte ist eine schöne Sache, aber diese Kreise, die am Laufmeter gegen etwas protestieren, können sie nicht mal eine Pause einlegen?

«Selbst Diktaturen respektieren gewisse Ruhetage»: Giuseppe Gracia, Bistumssprecher.
Foto: Thomas Meier

Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland geschieht es immer öfter, dass ein umstrittenes Podium oder eine Demo erfolgreich verhindert wird, indem im Vorfeld laute Gegendemos ankündigt werden – bis der Veranstalter einknickt und die Sache fallen lässt. Genau wie Sie, lieber Regierungsrat.

Nur ist es bei Ihnen natürlich kein Einknicken, sondern ein mutiges Zeichen für den Schutz der Ruhe. Unsere Bevölkerung braucht diese Kreise nicht, die immer gegen etwas wettern. Wenn es nicht Islamismus oder Feminismus ist, dann ist es das Klima.

Wenn es nicht irgendwelche Gipfeltreffen sind, dann die US-Aussenpolitik, Palästina oder die Türkei. Um was es auch immer geht, am Ende steigt der Lärmpegel. Deswegen brauchen wir einen neuen Respekt vor Ruhe und Ordnung, lieber Regierungsrat.

Man wird Ihnen vorwerfen, Ihr Verbot beweise, dass der Staat die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit seiner Bürgerinnen und Bürger nicht mehr garantieren könne. Man wird behaupten, dass Sie die Meinungsäusserungsfreiheit auf dem Altar der Angst opfern: Angst vor Gegenwind, Angst vor Polarisierung und Konflikt.

Hören Sie nicht darauf, Sie können einfach entgegnen, dass selbst Diktaturen gewisse Ruhetage respektieren.

Man wird Ihnen ausserdem vorwerfen, Sie seien heuchlerisch. Dass sie niemals ein Verbot ausgesprochen hätten, wenn der Anlass politisch korrekt gewesen wäre, etwa ein Marsch gegen US-Präsident Trump oder für gendergerechte Toiletten.

Aber lassen Sie sich auch davon nicht irritieren. Im Gegenteil rufe ich hiermit alle Gemeinden und Kantone des Landes dazu auf, sich an Obwalden ein Vorbild zu nehmen und sämtliche politische Aktionen zu verbieten, welche eine potentielle Ruhestörung darstellen.

Ebenso rufe ich alle Gruppen von links bis rechts dazu auf, den politischen Gegner präventiv zum Schweigen zu bringen, indem immer gleich eine Gegendemo veranschlagt wird.

Am Ende haben wir dann endlich die Ruhe, die wir verdienen.

* Giuseppe Gracia (50) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur.

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