Timo H.* (17) kann sich vor Begeisterung nicht halten. Jauchzend springt er die Treppe vom Hauseingang ins Wohnzimmer hinunter. «Besuch! Besuch! Endlich», ruft er seinen Eltern entgegen, die gerade vom Küchentisch aufgestanden sind.
Timo H. trägt seine Gefühle offen – innert Sekunden wechselt er zwischen Entzücken, Nervosität, Gleichgültigkeit und Stolz. Der 17-Jährige wurde mit dem Downsyndrom geboren. Sich zu konzentrieren, erfordert grosse Anstrengung, deutlich zu sprechen, fällt ihm nicht immer leicht. Trotzdem erzählt er gerne, ist extrovertiert, humorvoll, charmant.
Der Jugendliche lebt mit seinen Eltern und der älteren Schwester im Kanton Aargau, besucht eine heilpädagogische Schule in der Region. Noch ein Jahr, dann soll Timo eine Lehrstelle antreten. Traumberuf? «Koch!», die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.
Am liebsten in einem schicken Restaurant in der Stadt. Doch für die 1,6 Millionen Menschen mit Behinderung hierzulande ist die Auswahl sehr beschränkt. Sie haben keinen Platz in der regulären Arbeitswelt. Die meisten wohnen und arbeiten in separaten Institutionen – nur unter sich, abgeschottet von der übrigen Gesellschaft.
Tausende freie Lehrstellen, aber kein Platz für Behinderte
Dabei bleiben dieses Jahr 7500 Lehrstellen offen. Ausgerechnet in Handwerksberufen fehlt der Nachwuchs. Elektriker, Coiffeusen und Köche haben eklatante Nachwuchsprobleme. Trotzdem scheint man die Stellen lieber unbesetzt zu lassen, als Menschen mit Behinderung einzustellen.
Doch Timo will arbeiten. Mit Menschen ohne Behinderung. Nicht abgeschottet in einer Einrichtung. Doch bereits zu Beginn der Primarschule wurde Timo, wie die meisten Kinder mit Behinderung von seinen gleichaltrigen Freunden getrennt und kam auf die Sonderschule.
Seine Eltern kämpften vergebens um einen Platz an der regulären Primarschule. Jetzt kämpfen sie um eine Lehrstelle in einem sogenannt inklusiven Betrieb, ausserhalb einer Sondereinrichtung. «Wenn Timo in einer Institution die Lehre antritt, hat er in der Berufswelt vermutlich nie eine Chance auf einen Job», befürchtet sein Vater.
«Das Beste am Kochen ist das Essen»
Zu Recht, meint Jonas Staub, Leiter der Inklusionsorganisation Blindspot: «Der Schritt aus einer Sondereinrichtung in die Arbeitswelt ist schier unmöglich», so Staub.
Doch in der Schweiz stellen nur wenige Betriebe Menschen mit kognitiver Behinderung ein. Im Frühling durfte Timo in einem Restaurant, dem Provisorium 46 in Bern, schnuppern. Stolz berichtet er: «Ich habe gekocht und serviert.»
Das eigentliche Potenzial von Menschen mit Behinderung wird häufig nicht ausgeschöpft. Vor allem in der Arbeitswelt: «Ein grosser Anteil der Menschen mit Behinderung ist arbeitslos oder trägt mit ihrer Arbeit nichts zur Produktivität des Landes bei. Obwohl sie es sehr oft könnten – und auch wollten», sagt Experte Jonas Staub.
Wollen tut auch Timo H. Wenn der Jugendliche über das Kochen spricht, richtet er sich auf, seine Miene erhellt sich schlagartig. Am liebsten mache er Pizza. «Und das Beste am Kochen ist das Essen und Naschen», sagt er.
* Namen der Redaktion bekannt
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