SonntagsBlick: Die bundesrätlichen Lockerungen sind sehr unübersichtlich. Wissen die Leute überhaupt, wo was gilt?
Lukas Engelberger: Der Bundesrat hat differenziert und auf verschiedene Daten hin Lockerungen beschlossen. Jetzt besteht ein hoher Erklärungsbedarf. Für die Verantwortlichen im Vollzug ist das nicht einfach. Denken Sie an Versammlungen bis zu 300 Personen. Die Polizei kann diese Zahl in der Praxis kaum kontrollieren.
Wochenlang herrschte Angst vor dem Virus. Jetzt scheint sie plötzlich wie verpufft.
Das hat etwas Erfrischendes. Aber bei mir bleibt ein grosser Respekt. Es brennt nicht mehr lichterloh, aber das Virus mottet immer noch. Deshalb brauchen wir eine wachsame Feuerwehr. Ein Beispiel: Wir haben jetzt in Basel zwei neue Fälle – Geschwister, die den Kindergarten beziehungsweise die Primarschule besuchen. Wir haben deshalb für 70 Personen aus ihrem schulischen und privaten Umfeld Quarantäne angeordnet.
Am Freitag ist in der Schweiz das erste Kind am Virus gestorben.
Das ist tragisch und zeigt, dass auch Kinder nicht immun sind. Es heisst in meinen Augen aber nicht, dass wir die Kinderthematik nun umschreiben müssen. Es gab auch positiv getestete Kinder, als die Schulen geschlossen waren. Es wurde einfach nicht öffentlich registriert.
Auch zwei Wochen nach dem Lockdown ist die Ansteckungsrate tief. Sind Sie überrascht?
Ich habe mir in dieser Krise Erwartungen abgewöhnt. In Russland, Indien, Brasilien und Mexiko steigen die Fallzahlen markant. Wenn die Mobilität wieder zunimmt und Europa aufmacht, steigen auch die Risiken wieder. Wir haben das Virus aus der Öffentlichkeit gedrängt, aber wir dürfen es nicht aus den Köpfen drängen. Sonst gibt es eine böse Überraschung.
Wenn die ausserordentliche Lage endet, erhalten die Kantone wieder mehr Entscheidungsmacht. Was heisst das konkret?
Soweit nicht der Bund seine Zuständigkeiten behält, werden die Kantone noch stärkeren Absprachebedarf haben. Mit der neuen Verantwortung müssen wir harmonisch umgehen, sonst gibt es Verwirrung.
Mit welcher Strategie gehen die Kantone in die neue Phase?
Mit Überwachung und entsprechender Reaktion. Die Kantone erfassen die Fälle lokal und ergreifen im Ernstfall Quarantänemassnahmen, so wie wir das jetzt in Basel getan haben.
Welche Rolle spielt die Tracing-App?
Das muss sich erst einspielen. Aber die App darf nicht an den Bemühungen der Kantone vorbeilaufen. So werden im Ernstfall Betroffene lediglich per SMS darauf hingewiesen, dass sie in der Nähe einer infizierten Person gewesen sind. Das könnte mehr Verwirrung als Klarheit schaffen. Es sollte eine klare Anweisung erfolgen, sich beim Kantonsarzt zu melden.
Sind die Spitäler auf einen Anstieg der Fallzahlen vorbereitet?
Sie haben sich im März auf eine grosse Welle vorbereitet. Die ist in den meisten Kantonen ausgeblieben. Aber die Spitäler wissen jetzt, wie sie den Betrieb schnell hochfahren können. Klar ist auch: Dann wirds Opfer geben, weil andere Behandlungen ausgesetzt werden müssen.
Lukas Engelberger (45) ist seit 2014 Regierungsrat von Basel-Stadt und Vorsteher des Gesundheitsdepartements. Der CVP-Politiker arbeitete früher als Rechtskonsulent bei Hoffmann-La Roche. Als Nachfolger der St. Galler Regierungsrätin Heidi Hanselmann übernimmt der Vater dreier Kinder am 1. Juni das Präsidium der Konferenz der Schweizer Gesundheitsdirektoren.
Lukas Engelberger (45) ist seit 2014 Regierungsrat von Basel-Stadt und Vorsteher des Gesundheitsdepartements. Der CVP-Politiker arbeitete früher als Rechtskonsulent bei Hoffmann-La Roche. Als Nachfolger der St. Galler Regierungsrätin Heidi Hanselmann übernimmt der Vater dreier Kinder am 1. Juni das Präsidium der Konferenz der Schweizer Gesundheitsdirektoren.