«Ich möchte mich für meinen Post entschuldigen»
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Im BLICK-Interview:«Ich möchte mich für meinen Post entschuldigen»

Wie böse ist Boswil AG?
Gemeindeschreiber hetzt gegen Flüchtlinge – und fast das ganze Dorf steht hinter ihm!

Mit seinen Facebook-Beiträgen über Selbstjustiz und Todesstrafe, der Hetze gegen Asylsuchende und Sozialhilfebezüger sorgt Gemeindeschreiber Daniel Wicki (47) für Entsetzen. Im Ort selber nimmt man ihn in Schutz. Nur der Diakon äussert Kritik.
Publiziert: 07.12.2018 um 06:01 Uhr
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Aktualisiert: 07.12.2018 um 10:05 Uhr
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Der Gemeindeschreiber von Boswil AG, Daniel Wicki.
Foto: BLICK / Flavio Razzino
Flavio Razzino

Jahrelang gibt Daniel Wicki (47), Gemeindeschreiber von Boswil AG, auf Facebook den Hetzer gegen Asylsuchende und Sozialhilfebezüger. Gestern deckte BLICK seine Ansichten auf und publizierte die Beiträge. Sie zeigen: Der Staatsbedienstete, der auch stellvertretender Leiter der Sozialen Dienste ist, träumt im Internet nicht nur davon, wie Eidgenossen Ausländer aus der Schweiz prügeln, sondern hegt auch krude Mordfantasien für Vergewaltiger.

Am Tag der Enthüllung besucht BLICK das Dorf des Hetzers. Doch wer dort helle Aufregung, einen Aufschrei oder wenigstens Kopfschütteln erwartet, ist fehl am Platze. Tenor der Boswiler: Wir stehen hinter unserem Gemeindeschreiber.

Zustimmung statt Aufregung

«Recht hat er», meint eine Frau vor dem Volg an der Zentralstrasse, die gerade ihren Einkauf in ihren weissen Peugeot packt. Man dürfe heute ja kaum mehr was sagen, ohne gleich von den Medien in Stücke gerrissen zu werden. «Natürlich hat er sich in der Wortwahl vergriffen, doch das heisst nicht, dass er ein böser Mensch ist», ergänzt eine weitere Frau, die im selben Laden soeben ihren Zmittag gekauft hat.

In einem Restaurant nahe dem Bahnhof sind Fragen zu Wicki ebenfalls unerwünscht. Ein Bekenntnis zu Menschenrechten oder gegen die Todesstrafe? «Gehen Sie bitte», sagt die Servierkraft mit Zigarette im Mund. Und im Kebap-Imbiss nebenan sucht ein junger Mann gar Ärger, als er nach seiner Meinung zu Wickis Hetze gefragt wird. «Lügenpresse, halt die Fresse!», ruft er. Seine Freundin steht daneben, lächelt verlegen.

Selbst der Leiter der Schule Boswil, Peter Kessler, nimmt den Gemeindeschreiber in Schutz. Nein, Wicki sei grundsätzlich ein toller Typ – und überhaupt: «Missbrauch im Asyl- und Sozialwesen ärgern nicht nur ihn. Er hat sich getraut, seine Meinung zu schreiben.» Klar, bei der Todesstrafe, der Selbstjustiz und einigen Wendungen ging er zu weit, so Kessler und fügt an: «Das weiss er aber auch.»

Chef steht weiter hinter ihm

Wickis glühendster Verteidiger aber bleibt sein Chef, Gemeindeammann Michael Weber (SVP). Er will absolut nichts von Konsequenzen wissen. «Ich sehe noch keinen Grund, ihn von seinem Posten zu entfernen», sagte Weber gestern.

Aufruf zu Mord an Vergewaltigern und Prügel für kriminelle Kosovaren sowie makabre Witze über bötlende Asylsuchende, die im Mittelmeer «absaufen»? «Nur weil Dani Wicki sagt, was viele denken, ist er noch lange kein schlechter Mensch», so Weber weiter.

Natürlich gibt es auch Boswiler, die Abstand von Wickis Hetze nehmen. Doch sie möchten nicht namentlich zitiert werden. So auch eine Angestellte der katholischen Kirche. Noch bevor sie am Telefon etwas sagen kann, bekommt sie von ihrem Mann einen Maulkorb verpasst.

Auch Peter Schneider, Geschäftsführer des über die Gemeindegrenzen hinweg bekannten Künstlerhauses Boswil, sagt lieber nichts. In ihrem Leitbild betont die Institution zwar, dass es «unter Achtung der Grundwerte unserer Gesellschaft, den Grundsätzen der Toleranz verpflichtet» sei. Nach Wicki und seiner Träumerei von Todesstrafe und Selbstjustiz angesprochen, heisst es nur: «Wir möchten uns dazu nicht äussern.» 

Diakon gibt Wicki Kontra: «Auch Jesus war Asylant»

Einziger Kritiker im Ort ist Francesco Marra (44), Diakon der katholischen Kirche Boswil. «Auch Jesus war Asylant», sagt er. Das solle man nicht vergessen, wenn man pauschal über Flüchtlinge spricht. Jeder in der Schweiz müsse sich an Gesetze halten und die Menschenrechte achten. Und der Kirche sei es letztlich egal, «ob man nun den Pass hat oder nicht». «Das darf keinen Einfluss auf die Würde des Menschen haben», so Marra.

Und Wicki? Der jammert erst mal. So beklagt er sich bei einem Treffen mit BLICK über vernichtende Kritik an ihm wegen seiner Aussagen auf Facebook. Immerhin: Seinen Aufruf zu Mord an Vergewaltigern bereut er unterdessen: «Ich habe überreagiert, es tut mir aufrichtig leid.» Aber: «Einige Mails zielen wirklich unter die Gürtellinie, das kann ich so nicht akzeptieren.»

Furchterregend Aufrechte

Angemessen wäre Empörung. Stattdessen gibt es empörend grosses Verständnis für den Gemeindeschreiber von Boswil AG, der Selbstjustiz propagiert und gegen Asylsuchende hetzt.

Er sei ein guter Typ, heisst es im Dorf. «Kein böser Mensch» sagt der Gemeindeammann. «Geschätzt», so der Schulleiter, der sich eigens hingesetzt hat, um BLICK unaufgefordert eine ellenlange Verteidigungsschrift für den Kritisierten zu schreiben.

Er ist einer wie wir, so die Botschaft.

Was viele denken …

Und tatsächlich ist der gemeinsame Nenner dieser Leute, dass sie  sich als aufrechte und anständige Bürger sehen, gewiss nicht als Fremdenfeinde. «Dani Wicki hat geschrieben, was viele Leute in unserem Land denken. Und niemals zu schreiben wagen...», sagt der Schulleiter. 

Genau diese Selbstwahrnehmung als Aufrechte und Anständige ist ihr Problem.

Denn sie sind weder aufrecht noch anständig, wenn sie rassistische Äusserungen gutheissen. Wenn sie sich im Wahn suhlen, in der Schweiz herrsche Meinungsterror und die freie Rede sei bedroht. 

Mär von der Zensur

Sie benutzen die Mär von der Zensur, um bewusst Grenzen zu überschreiten oder zumindest auf dem Scheidepunkt zäuseln zu können. Jene Grenzen, die freie Meinungsäusserung von Hetze, Verunglimpfung und Menschenverachtung trennen.

Ein Gemeindeschreiber verhöhnt diese Grenzen. Ein Gemeindeammann heisst dies gut. Ein Schulleiter – Vorbild für Kinder! – bringt unendlich viel Verständnis auf: Alles Personen im öffentlichen Dienst, die mit ihrem Verhalten den Gemeinsinn beleidigen und dem Rassismus Vorschub leisten. Es ist abstossend und furchterregend.

BLICK-Chefredaktor Andreas Dietrich

Angemessen wäre Empörung. Stattdessen gibt es empörend grosses Verständnis für den Gemeindeschreiber von Boswil AG, der Selbstjustiz propagiert und gegen Asylsuchende hetzt.

Er sei ein guter Typ, heisst es im Dorf. «Kein böser Mensch» sagt der Gemeindeammann. «Geschätzt», so der Schulleiter, der sich eigens hingesetzt hat, um BLICK unaufgefordert eine ellenlange Verteidigungsschrift für den Kritisierten zu schreiben.

Er ist einer wie wir, so die Botschaft.

Was viele denken …

Und tatsächlich ist der gemeinsame Nenner dieser Leute, dass sie  sich als aufrechte und anständige Bürger sehen, gewiss nicht als Fremdenfeinde. «Dani Wicki hat geschrieben, was viele Leute in unserem Land denken. Und niemals zu schreiben wagen...», sagt der Schulleiter. 

Genau diese Selbstwahrnehmung als Aufrechte und Anständige ist ihr Problem.

Denn sie sind weder aufrecht noch anständig, wenn sie rassistische Äusserungen gutheissen. Wenn sie sich im Wahn suhlen, in der Schweiz herrsche Meinungsterror und die freie Rede sei bedroht. 

Mär von der Zensur

Sie benutzen die Mär von der Zensur, um bewusst Grenzen zu überschreiten oder zumindest auf dem Scheidepunkt zäuseln zu können. Jene Grenzen, die freie Meinungsäusserung von Hetze, Verunglimpfung und Menschenverachtung trennen.

Ein Gemeindeschreiber verhöhnt diese Grenzen. Ein Gemeindeammann heisst dies gut. Ein Schulleiter – Vorbild für Kinder! – bringt unendlich viel Verständnis auf: Alles Personen im öffentlichen Dienst, die mit ihrem Verhalten den Gemeinsinn beleidigen und dem Rassismus Vorschub leisten. Es ist abstossend und furchterregend.

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