Dramatische Szenen spielen sich in der Nacht auf Montag an der Solothurner Wengistrasse 40 ab. Dicker Rauch qualmt durchs Mehrfamilienhaus. Panik bricht aus. Kinderschreie hallen durch die Nacht. Und verstummen plötzlich. Manche schaffen es rechtzeitig aus dem Haus, wie Hassan Ibrahim Jemal (28) aus dem Erdgeschoss. Er schlief tief, als ihn seine Nachbarin gegen zwei Uhr aus dem Bett klingelte: «Sie schrie: ‹Schnell raus hier!›» Ohne Schuhe rennt er sofort raus in die Nacht. Auf die rettende Strasse im Freien.
Nicht alle der 20 Bewohner im Haus können ihm folgen. Tödlich giftiger Rauch sperrt die Menschen in den oberen Etagen bis zum vierten Stock ein. Sechs Menschen sterben. Vier sind bis Montagabend teils schwer verletzt im Spital. Es ist der verheerendste Hausbrand der letzten 20 Jahre.
Die Identität der Toten ist noch ungeklärt. Zittern, Bangen, Hoffen bei Angehörigen und Freunden. So auch bei jenen der jungen eritreischen Familie von Tadesse G.* und Mariam P.* mit ihren beiden kleinen Töchtern (4 und 5 Jahre alt).
Handy von Tadesse G. klingelt seit dem Brand durch
Sie wohnten im zweiten Stock des Mehrfamilienhauses. Waren in der eritreischen und somalischen Gemeinschaft engagiert. Waren gerngesehene und regelmässige Gäste in den Gottesdiensten. Doch seit dem Brand werden sie alle vier vermisst. Die beiden Mädchen tauchen am Montag nicht im Kindergarten auf. Die verzweifelten Angehörigen und Freunde suchen nach ihnen, sehen sich vor der Brandruine um, warten später gemeinsam versammelt in einer Stube vergeblich auf ein Lebenszeichen. Das Handy von Tadesse G. klingelt seit dem Brand durch.
Auch von der Polizei erhielten sie bisher keine Informationen, ob sie unter den Todesopfern sind. «Wir wurden vertröstet, die Identifikation laufe noch», sagt ein Freund der Familie zu BLICK. Auf eigene Faust hätten sie die Spitäler abgesucht, doch auch da – keine Spur. «Wir klammern uns an die letzte Hoffnung, was bleibt uns denn anderes übrig», sagt ein Angehöriger.
«Sie warf das zu mir runter»
Zur letzten Hoffnung einer Bewohnerin aus dem dritten Stock wird Nachbar Abdul Karem (21). Um 2 Uhr nachts wird er geweckt. Karem geht raus und sieht, wie eine Frau im dritten Stock mit einem Kind am Fenster steht. Sie ruft ihm zu, er solle ihr Kind auffangen. «Sie schrie, es habe bei ihr in der Wohnung viel Rauch. Dann warf sie das Kind zu mir runter», erzählt er BLICK.
Karem fängt das Kind auf, aber unterschätzt die Wucht des Falles. «Das Kind berührte leicht den Boden. Ich habe geprüft, ob mit dem Kleinen alles in Ordnung ist. Er blutete nicht», sagt er. Der Junge übergibt sich und wird von der Polizei in Obhut genommen. «Was mit ihm geschah, weiss ich nicht», so Karem.
Die Mutter soll ihrem Kind hinterhergesprungen sein. Ob sie überlebt haben, sagt die Polizei nicht. Sprecher Andreas Mock: «Die Situation, dass eine Mutter ihr Kleinkind aus dem Fenster geworfen hat und dann nachgesprungen ist, ist uns bekannt. Wir sind gerade daran, den Vorfall zu rekonstruieren.»
Eine Festnahme
Ein Bewohner des direkt angebauten Hauses erwacht ebenfalls mit Rauch in seinem Zimmer. Als er ins Freie rennt, bieten sich Bilder des Grauens: «Ich sah einen Mann am Fenster im dritten Stock stehen – dann hörte ich einen Aufprall. Er ist aus Verzweiflung wohl gesprungen.»
Die Polizei gab am frühen Abend bekannt, dass das Feuer durch «unsachgemässen Umgang mit Raucherwaren in einer Wohnung» ausgelöst worden sei. Eine Person wurde vorläufig festgenommen, weitere Ermittlungen seien im Gang.
Bewohner des Hauses berichten dem BLICK, dass eine Frau im Parterre mit brennender Zigarette eingeschlafen sei.
* Namen geändert