Er kann kaum noch atmen, ist völlig ausgelaugt. Doch Josef L.* (61) macht weiter. Seit 15 Minuten massiert er das Herz seines Kollegen Marco S.* (†53). Der Krankenwagen ist ja bald da, denkt er sich. Die Sanitäter werden ihn ablösen – das Herz wieder zum Schlagen bringen. Dann wird alles gut. Sein Freund wird überleben.
Doch die Sanität lässt sich 30 Minuten lang nicht blicken. Marco S. stirbt. Josef L. ist fassungslos: Das Spital Menziken AG liegt doch nur 500 Meter entfernt.
Josef L. macht der Sanität schwere Vorwürfe: «Sie hätten früher da sein müssen. Dann würde mein Freund vielleicht noch leben.»
Herzattacke auf der Couch
Das Drama geschah in der Wohnung von Josef L. in Menziken. Marco S. war seit dem Vorabend zu Besuch. «Er hatte hier auf der Couch geschlafen», sagt Josef L. und deutet auf ein schwarzes Sofa. Er selbst habe in seinem Zimmer Computerspiele gespielt.
«Am Nachmittag traf ich Marco vor der WC-Tür. Ich sagte ihm, er solle sich beeilen. Schliesslich musste ich auch noch.» Es sollten die letzten Worte sein, die Josef L. an seinen Freund richtet.
Als er später ins Wohnzimmer kommt, sitzt Marco S. auf dem Sessel. Seine Augen sind geschlossen. «Ich dachte, er schläft und versuchte ihn zu wecken», so Josef L. Dann der Schock: S. atmet nicht mehr. L. reagiert schnell. Notruf, Herzmassage. Über das Telefon gibt ihm die Notrufzentrale den Takt vor, in dem er den Brustkorb seines Freundes zusammendrücken muss.
Die Minuten verstreichen, die Sanität lässt auf sich warten. Der Kollege ist verzweifelt: «Immer wieder fragte ich, wenn sie endlich da sind. Sie sagten nur: ‹Bald.›»
Kreisspital nur eine Minute entfernt
Dann trifft die Polizei ein. Die Beamten lösen den erschöpften IV-Rentner ab. Transportieren können sie den Patienten aber nicht. Erst knapp 30 Minuten später hört Josef L. die Sirenen des Rettungswagens. Er erfährt: Der Wagen startete in Kölliken AG, gut 20 Kilometer entfernt. Das Kreisspital Menziken, das ebenfalls Rettungswagen besitzt, hätte höchstens drei Fahrminuten gebraucht.
Die Sanitäter fahren Marco S. ins Spital Aarau. Josef L. vergisst die Strapazen – vorerst: «Ich dachte, er schafft das schon. Jetzt wo sich die Ärzte um ihn kümmern», sagt er. Aber noch am gleichen Abend wird Marco S. für tot erklärt. Josef L. ist erschüttert: «Mein Freund wurde nicht so behandelt, wie es in unserem Gesundheitssystem eigentlich vorgesehen ist.»
Kantonsspital spricht von korrekter Koordination
Doch der Rettungseinsatz war laut Kantonsspital Aarau korrekt koordiniert. Sprecherin Isabelle Wenzinger erklärt: «Das Rettungsteam in Menziken war besetzt. Deshalb wurde ein Team des Spitals Zofingen aufgeboten, das sich zum Zeitpunkt des Alarms in Köliken befand.»
Die nächste Ambulanz besetzt. Der einzig verfügbare Krankenwagen 20 Kilometer weit weg. Helikopter nicht angefordert. Josef L. sind all diese Gründe egal. Er weiss: «Das bringt ihn auch nicht wieder zurück.»
* Namen geändert