Der Vater Marco B.* (41) sitzt am Küchentisch seines Reiheneinfamilienhauses in Dottikon AG und weint. Dann beginnt der Italiener vom Unglückstag zu erzählen, wie er sich um 6.30 Uhr von Vincent verabschiedete. «Als ich von der Schichtarbeit heimkam, habe ich ihn auf die Backe geküsst und ihm einen schönen Tag gewünscht», sagt der Fabrikarbeiter. «Dann hat mir mein Sohn wie immer auch einen Schmutz gegeben und ‹Ciao Papi› gesagt. Und jetzt ist er einfach nicht mehr hier!»
Auch seiner Mutter Maria (41) und seinem Bruder Alex (14) sagt Vincent Ciao, bevor er das Haus verlässt, um mit dem Bus zur Arbeit nach Lenzburg zu fahren. Dafür muss der Logistik-Stift im zweiten Lehrjahr die Bahnhofstrasse überqueren. «Es ist ein gefährlicher Fussgängerstreifen», so der Vater. Gemeinde und Kanton seien längst informiert. «Auch mein Sohn wusste das schon als kleiner Bub.»
An diesem Mittwochmorgen übersieht ein Deutscher (24) im Mercedes E320 kurz nach 7 Uhr laut eigenen Angaben den Jungen auf dem Zebrastreifen – und rammt ihn. Vincent wird auf die Gegenfahrbahn geschleudert, vor einen Mercedes Vito, der ihn mitschleift. Passanten eilen herbei, erste Helfer. .
Eine Bekannte der B.s rennt zur Familie. «Sie sagte zu meiner Frau, es sei etwas Schlimmes mit Vincent passiert», erzählt Marco B. Er selber hatte sich schon zum Schlafen gelegt. Vincents Mutter Maria bricht fast zusammen, sagt ihrem jüngeren Sohn Alex noch, dass er den Vater wecken soll.
Dann rennt sie zur Unfallstelle. Bald folgt ihr Marco B. Dort erfährt er, dass sein Sohn tot ist. «Es war so schlimm, ich schrie nur noch.» Seine Frau sitzt in der Nähe des Zebrastreifens auf einem Steinbänkli und wird betreut. «Sie hatte keine Kraft, zu Vincent hinzugehen», sagt der Vater. «Aber ich. Ich wollte meinem Sohn Ciao sagen.»
Marco B. wird begleitet, er hebt die Decke, sieht seinen Sohn: «Es war Vincent. Die Jacke, das Gesicht. Ich kniete nieder und sagte ihm: Vincent, wieso bist du gegangen? Wieso hast du mich allein gelassen? Wieso?»
Gestern, einen Tag nach Vincents Tod, ist sein Bruder Alex 14 geworden. «Wir haben natürlich nichts zu feiern», sagt das Geburtstagskind. «Auch nicht Weihnachten.» Vincent sei ein Traumbruder gewesen. Sie hätten es «mega guet» zusammen gehabt. Alex: «Wir spielten am liebsten Playstation. Das werde ich jetzt nie mehr mit ihm tun können.»
Und Mutter Maria sagt leise: «Vincent war ganz speziell, immer lieb, immer anständig.»
* Name der Redaktion bekannt