8 Villen statt 80 Wohnungen in Oberwil-Lieli AG
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Klassenkampf in Oberwil-Lieli:Auf diesem Acker sollen bald Villen stehen

Bauzonen-Klassenkampf in Gemeinde von SVP-Glarner
8 Villen statt 80 Wohnungen in Oberwil-Lieli AG

Die Gemeinde Oberwil-Lieli kauft einem Zürcher Immo-Spekulanten Landwirtschaftsland fürs 30-Fache des Marktpreises ab. Damit soll ein neues Villenquartier möglich werden. Verloren haben junge Familien: Das Vorhaben geht auf Kosten von geplanten, bezahlbaren Wohnungen.
Publiziert: 07.09.2020 um 00:25 Uhr
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Aktualisiert: 08.09.2020 um 07:54 Uhr
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In Oberwil-Lieli wird ein Acker zu Bauland – dort soll ein Villenquartier entstehen.
Foto: Thomas Meier
Flavio Razzino

Es klingt staubtrocken, doch die Vorlage birgt gewaltig Zunder: Am 27. September stimmen die Bürger von Oberwil-Lieli AG an der Urne über die «Gesamtrevision Bau- und Nutzungsordnung» ab. Wer jedoch den Gegnern und Befürwortern dieser Vorlage zuhört, merkt: Trocken ist bei diesem Geschäft nur der Titel – tatsächlich verhandelt das Dorf einen regelrechten Klassenkampf!

Auf der einen Seite sind die Gutbetuchten, die fleissig für ein Ja werben. Auf der anderen Seite stehen vor allem Normalverdiener und junge Familien. In der Vorlage geht es um die Wiese Juchächer, 12'700 Quadratmeter gross, ein Stückchen Land am Rand der Aargauer Gemeinde.

Jetzt will Gemeindeammann Ilias Läber (46) diesen Acker kaufen und daraus Bauland machen. Für ein neues Villenquartier in einer neuen «Landhauszone».

Der Plan: Die Baulandparzellen will die Gemeinde an die Meistbietenden verkaufen. Das Mindestgebot legt die Gemeinde auf stolze 1600 Franken pro Quadratmeter fest. Alle Parzellen werden rund 1000 Quadratmeter gross – Einfamilienhäuser können sich so nur Millionäre leisten. «Die Gemeinde verdient zuerst mit dem Verkauf der Parzellen gutes Geld, dann durch die Ansiedlung von neuen, guten Steuerzahlern», so der Gemeindepräsident.

Einfamilienhausquartier mit grossen Parzellen

Eine Spielwiese für Reiche? Dagegen laufen nun die Gegner Sturm. Landwirte, die den Verlust von Kulturland beklagen. Anwohner wie Franziska Janett (70), die gegen eine weitere Überbauung von Oberwil-Lieli sind. Und eben jene jungen Einwohner, die sagen, dass die Gemeinde mit diesem Geschäft wieder nur den oberen Zehntausend einen Dienst erweise.

Die Gemeinde Oberwil-Lieli versucht im Juchächer aber auch etwas, das seit dem neuen Raumplanungsgesetz aus dem Jahr 2013 schweizweit praktisch unmöglich geworden ist: ein Einfamilienhausquartier mit übergrossen Parzellen zu schaffen. Schliesslich widerspricht ein solches Vorhaben heute jeglichen Grundsätzen fürs verdichtete Bauen.

Wütende Leserbriefe im Gemeindeblatt «Wochenfalter» und Gegendarstellungen der Gemeinde wechseln sich dieser Tage ab. Von Neidern und «Gschäftlimachern» ist die Rede. Je nachdem, auf welcher Seite man steht.

Weniger Mehrfamilienhäuser, mehr Villen

Tatsächlich gieren Investoren schon lange auf den Juchächer in Lieli. Zahlreiche Einzonungsversuche sind in den letzten Jahren aber bereits gescheitert.

Denn der Juchächer darf nur dann eingezont werden, wenn gleichwertiges Bauland andernorts im Dorf zu Nichtbauland gemacht wird. Gemeindeammann Läber will darum mitten im Dorfzentrum von Oberwil gemeindeeigenes Bauland zur Landwirtschaftszone machen.

Und provoziert genau damit junge Familien und Normalverdiener. Denn bis vor etwas mehr als einem Jahr schien ausgemacht, dass auf diesem Land im Dorfzentrum zehn Mehrfamilienhäuser mit rund 80 «bezahlbaren» Wohnungen gebaut werden sollen.

Es war ein Projekt aus der Feder des vorherigen Gemeindeammanns von Oberwil-Lieli, SVP-Nationalrat Andreas Glarner. Er reagierte damit auf einen Vorstoss des Bürgers Rudolf Aschmann. Dieser hatte die Gemeinde 2010 aufgefordert, eigenes Bauland zu einem Preis zu verkaufen, der Familien und Normalverdienern zumutbar ist.

Projekt wird versenkt

Die Mehrheit der Bürger unterstützte den Vorstoss. «Seit zehn Jahren warte ich nun aber darauf, dass mir die Gemeinde Rückmeldung gibt, wie sie dieses Begehren umsetzen will», sagt Aschmann heute. Die Vorlage vom 27. September zeigt nun aber deutlich: Es wird gar nicht umgesetzt.

Statt 80 Wohnungen auf 9000 Quadratmeter eigenem Land soll es nun also acht Einfamilienhäuser auf 12'700 Quadratmeter Land geben. Im Dorfzentrum werden auf dem übrig gebliebenen Streifen Bauland dann noch gerade mal zwei Mehrfamilienhäuser gebaut.

Dabei haben Junge in der Gemeinde heute kaum noch eine Chance, in ihrer Heimat zu bauen, und ziehen darum weg. Mit Auswirkungen bis in die Feuerwehr: Statt 72 Mann – wie es sein müsste – gibt es noch 55 Feuerwehrleute in Oberwil-Lieli. Das sagte der Kommandant an einer Gemeindeversammlung, als auch er auf mehr bezahlbaren Wohnraum pochte.

Später Zahltag für Schaeppi

Anwohnerin Franziska Janett kämpft mit Leserbriefen, einem Kontra-Komitee und einer Petition dafür, dass das Geschäft an der Urne scheitert. Besonders stört sie nebst der weiteren Bautätigkeit im Dorf, dass die Gemeinde den Juchächer einem Zürcher Immobilienspekulanten zu einem sagenhaften Preis abkauft. «Das ist nicht nur kein gutes Geschäft für Oberwil-Lieli, es ist sogar ein ganz schlechtes», sagt Janett.

Der Deal, den die Gemeinde der Schaeppi Grundstücke AG von Martin Schaeppi als Eigentümerin des Juchächers anbietet, ist tatsächlich bemerkenswert. So sichert Gemeindeammann Ilias Läber ihr das 30-Fache des eigentlichen Preises für Landwirtschaftsland zu. 2,9 Millionen Franken soll die Firma bekommen. Als Landwirtschaftsland wäre das Grundstück rund 127'000 Franken wert – eine Summe, die sich freilich bei einer Umzonung durch die Gemeinde schlagartig vervielfachen würde.

Für Schaeppi seinerseits könnte sich eine Investition, die er vor über 40 Jahren tätigte, doch noch auszahlen. 1979 erwarb er das Land zu 100 Franken pro Quadratmeter. Auch damals war der Preis überhöht, doch Schaeppi spekulierte darauf, dass das Land bald schon überbaut werden könnte. So befand es sich damals in der Reservezone. Doch die Umzonung geschah nie.

Auch SVP-Glarner will lieber Millionäre im Dorf

Heute kann Schaeppi den Gewinn nur noch mit Hilfe der Gemeinde einstreichen. Das weiss auch Gemeindeammann Ilias Läber: «Vielleicht hätte man härter verhandeln können. Aber ich habe es auf korrekte und faire Art und Weise gemacht und bin eigentlich sehr zufrieden mit dem erzielten Ergebnis.»

Die Gutmütigkeit der Gemeinde geht aber noch weiter. Zusätzlich zu den 2,9 Millionen Franken übernimmt sie für die Schaeppi Grundstücke AG auch noch die Mehrwertabgabe. Die wird fällig, wenn ein Stück Land durch Planungsvorteile von heute auf morgen plötzlich mehr Wert bekommt. Eine Spekulationsbremse, die hier jeglichen Griff verliert. Rund 200'000 Franken schenkt der Steuerzahler der Zürcher Immobilienfirma so zusätzlich.

Kein Problem für die Dorf-Oberen. Auch SVP-Nationalrat Andreas Glarner ist mit Blick auf neue Millionäre im Dorf Feuer und Flamme. An der Gemeindeversammlung im Juni 2019 sagte er: «Wir haben hier eine eierlegende Wollmilchsau auf dem Tisch (...), ich kann dem Gemeinderat zu dieser Toplösung nur gratulieren!» Gegenüber BLICK will Glarner das Geschäft allerdings nicht kommentieren.

Das sagt das Gesetz

Raumplanung

Seit die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger 2013 Ja zum neuen Raumplanungsgesetz gesagt haben, ist das Einzonen von Wiesen und Äckern schwieriger geworden. Erst müssen bestehende Bauzonen bebaut werden – und das soll dichter geschehen als früher. Statt Einfamilienhäuser sollen vermehrt Mehrfamilienhäuser gebaut werden. Zudem dürfen Gemeinden nur so viel Bauland in Reserve haben, wie innert 15 Jahren voraussichtlich bebaut wird. Haben Gemeinden zu grosse Bauzonen, müssen sie diese reduzieren.

Bäuerliches Bodenrecht

Seit 1980 ist der Handel mit Landwirtschaftsland in der Schweiz stark eingeschränkt – um zu verhindern, dass Spekulanten Landwirtschaftsland zu höheren Preisen kaufen und sich die Bauern letztendlich kein Land mehr leisten können. So dürfen heute nur Bauern mit eigenem Betrieb Landwirtschaftsland kaufen, zum Preis von durchschnittlich zehn Franken pro Quadratmeter. Schaeppi Grundstücke kaufte den Juchächer in Oberwil-Lieli genau ein Jahr vor Inkrafttreten dieser Einschränkung.

Raumplanung

Seit die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger 2013 Ja zum neuen Raumplanungsgesetz gesagt haben, ist das Einzonen von Wiesen und Äckern schwieriger geworden. Erst müssen bestehende Bauzonen bebaut werden – und das soll dichter geschehen als früher. Statt Einfamilienhäuser sollen vermehrt Mehrfamilienhäuser gebaut werden. Zudem dürfen Gemeinden nur so viel Bauland in Reserve haben, wie innert 15 Jahren voraussichtlich bebaut wird. Haben Gemeinden zu grosse Bauzonen, müssen sie diese reduzieren.

Bäuerliches Bodenrecht

Seit 1980 ist der Handel mit Landwirtschaftsland in der Schweiz stark eingeschränkt – um zu verhindern, dass Spekulanten Landwirtschaftsland zu höheren Preisen kaufen und sich die Bauern letztendlich kein Land mehr leisten können. So dürfen heute nur Bauern mit eigenem Betrieb Landwirtschaftsland kaufen, zum Preis von durchschnittlich zehn Franken pro Quadratmeter. Schaeppi Grundstücke kaufte den Juchächer in Oberwil-Lieli genau ein Jahr vor Inkrafttreten dieser Einschränkung.

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