Selina S.* (20) sitzt auf einem Bänkli nahe Olten SO – und weint. «Unglaublich», sagt sie zu BLICK. «Er hat wieder zugeschlagen. Diesmal bei einem achtjährigen Buben.» Dabei habe sie den Behörden immer gesagt, dass man William W.* (45) nicht mehr freilassen dürfe. Die junge Frau sagt entsetzt: «Sie taten es trotzdem!» Selina war selbst erst acht, als sie 2006 von W. missbraucht wurde: «Ich leide heute noch.»
Unfassbar: W. hatte vor Selina bereits fünf Kinder missbraucht. Dafür wurde der Kolumbianer 1999 zum ersten Mal verurteilt – 18 Monate Knast bedingt. Bei der angeordneten Therapie machte W. nicht mit. Nach dem Übergriff an Selina wurde er zu fünf Jahren verurteilt. Zudem wurde eine stationäre Therapie angeordnet. Nur: W. machte wieder nicht mit. Glück für ihn: Das Gesetz sagt, dass eine Massnahme bei Aussichtslosigkeit abgebrochen wird. Zudem verpassten es die Behörden, seine Verwahrung zu beantragen.
Er kommt frei und bekommt sogar Entschädigung
So kam W. Ende 2016 frei – und erhielt eine Entschädigung von 52'000 Franken, weil er zu lange einsass. Ein Prozess für eine nachträgliche Verwahrung war noch angesetzt worden, wurde aber vor über einem Jahr ausgesetzt. Grund: W. sei «kein Kernpädophiler». Opfer Selina S. kontert: «Laut Gutachten war er mittel bis schwer rückfallgefährdet!»
Wie Tele M1 berichtete, wurde W. nun erneut verhaftet. Wegen sexueller Handlungen mit einem Kind. Wo es passierte – unklar. Der Kolumbianer hatte seit kurzem das Restaurant Kleinholz in Olten gemietet. Inhaber Tharmaseelan Rajathurai (49): «Hätte ich seine Vorgeschichte gekannt, wäre er nicht Mieter geworden. Vor allem, weil es gegenüber einen Spielplatz hat und hier Schüler vorbeilaufen.»
Laut BLICK-Recherchen hat W. erst mit elektronischen Fussfesseln in einem Männerheim und dann alleine gewohnt. Der letzte Übergriff soll am Tag vor der Festnahme passiert sein. «Ich sah ihn oft vor der Beiz», so eine Passantin. «Er hat Leute angesprochen, ob sie reinkommen wollen.» Auch sein Opfer?
Behörden wollen der Sache nachgehen
«Als Justizdirektor bin ich sehr betroffen von der Entwicklung im vorliegenden Fall», sagt Regierungsrat Roland Fürst (57, CVP). «Die Strafverfolgung muss alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Gesellschaft vor solchen Tätern zu schützen.» Der Fall werde minutiös aufgearbeitet, und «allfällige Schwachstellen – insbesondere auch bundesrechtliche – müssen offengelegt werden».
Oberstaatsanwalt Hansjürg Brodbeck erklärt: «Ein zentraler Grund für die Anträge auf Sistierung des Verfahrens liegt darin, dass gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung die nachträgliche Anordnung einer gerichtlichen Verwahrung erst zulässig ist, wenn eine vorgängig angeordnete therapeutische Behandlung rechtskräftig aufgehoben wurde.» Dies sei bezüglich der vom Obergericht am 16. September 2016 angeordneten ambulanten Therapie bei W. bis heute nicht der Fall.
Kurz gesagt: W. genoss eine Massnahme in Freiheit – und war mit seinem siebten Übergriff schneller als die Behörden.
* Namen bekannt