SonntagsBlick: Herr Theunert, im Zuge der «MeToo»-Bewegung melden sich nun auch Männer unter dem Hashtag «ItWasMe» zu Wort: Sie outen sich dafür, dass sie Frauen sexuell bedrängt oder belästigt hatten und entschuldigen sich dafür. Ist das ein guter Weg?
Markus Theunert: Das ist auf jeden Fall ein guter Anfang. Ich bin skeptischer, wenn Männer mit dem Finger auf andere Männer zeigen und sagen: Also ich selber würde das nie tun. Es braucht die kritische Selbstbefragung von uns Männern. Und zwar nicht nur zur Frage, ob ich selbst schon übergriffig gehandelt habe. Es beginnt früher, etwa bei der Frage: Wann glaube ich, ein Anrecht auf weibliche Aufmerksamkeit zu haben? Aber es ist eine Herausforderung, sich als Mann in die Debatte einzubringen.
Inwiefern?
Es braucht eine echte Auseinandersetzung mit sich selbst – und bestimmt keine «Jetzt-habt-euch-nicht-so»-Haltung. Männer sollten ihr Verhalten reflektieren und sich fragen: Wo passieren Grenzverletzungen – auch ohne dass ich es will und vielleicht sogar ohne dass ich es merke? Das muss ja auch nicht öffentlich geschehen. Ein vertraulicher Austausch unter vier Augen ist in diesem frühen Stadium vielleicht fruchtbarer. Wir Männer sind uns ja nach wie vor nicht gewohnt, unsere männliche Geschichte und Erziehung zu hinterfragen.
Was halten Sie davon, dass Männer nun darauf hinweisen, dass auch sie unter sexueller Belästigung leiden?
70 Prozent aller Gewaltopfer sind Männer – grossteils durch Gewalt anderer Männer. Auch bei der sexuellen Gewalt gibt es einen namhaften Anteil von Buben und Männern unter den Opfern. Das wird schnell übersehen. Aber: Auf den «MeToo»-Zug aufzuspringen, ist extrem problematisch, weil dann Männer den weiblichen Opfern wieder Raum abgraben.
Viele Reaktionen von Männern zeigen, dass sie verunsichert sind. Was raten Sie?
Wir von maenner.ch werden immer wieder gefragt: Wo ist die Grenze? Was darf Mann heute noch? Unsere Antwort: Es gibt keine eindeutige Grenze im individuellen Verhalten – weil es total auf die Situation und die Konstellation ankommt. Was sich jeder Mann fragen sollte, wenn er unsicher ist: Bin ich in Kontakt mit dem Gegenüber? Nehme ich das Gegenüber als Subjekt wahr – oder mache ich es zum Objekt meiner Begierde? Solange ich bezogen handle, also in Kontakt mit dem Gegenüber bin, ist die Gefahr eines Übergriffs minim. Wenn ich hingegen unbezogen handle, hat der Übergriff schon begonnen.
Viele Männer würden Ihnen widersprechen, dass dies so eindeutig ist.
Das könnte damit zu tun haben, dass sie schlicht nicht wissen, wovon ich spreche. Das Problem ist ja: Bezogenheit wird Männern im Laufe ihres Aufwachsens abtrainiert. Weder die Aufmerksamkeit für die eigene Innenwelt noch die Sorge um andere Menschen ist Teil des klassichen Männerbilds. Im Gegenteil: Bezogenheit und Empfindsamkeit werden als «unmännlich» abgewertet. Wir dürfen uns nichts vormachen: Unsere Gesellschaft züchtet Harvey Weinsteins.
Was ist Hollywood-Produzent Harvey Weinstein, der jahrzehntelang seine Machtposition ausnutzte, für ein Typ Mann?
Weinstein ist im Kern ganz bestimmt ein tief verunsicherter Mann. Diese Ferndiagnose wag ich. Denn diese Sorte Mann handelt nicht aus einer Position der Stärke heraus, sondern wehrt ihre Angst vor der eigenen Schwäche ab. Das gilt grundsätzlich: Je aufgeblasener der Typ, desto unsicherer der kleine Junge in ihm. Nur innerlich starke Männer können starken Frauen ebenbürtige Partner sein.
Man müsste meinen, Männer mit Macht hätten solche Übergriffe weniger nötig.
Eher im Gegenteil: Wieso drängen diese Männer denn überhaupt in Machtpositionen? Weil sie sich selbst nicht genügen, weil sie sich ohne Macht nicht als wichtig genug erleben. Von der Macht zu ihrem Missbrauch ist es ein kleiner Schritt.
Gab es denn in den letzten Jahrzehnten keine Fortschritte?
Bei der Auslese, welche Männer es nach oben schaffen, sehe ich kaum eine Entwicklung. Welcher Preis hat denn die Macht? Permanente Verfügbarkeit und unhinterfragte Bereitschaft zur Selbst- und Fremdausbeutung! Dazu findet bis heute kaum eine kritische Auseinandersetzung statt. Neu ist, dass die öffentliche Meinung gedreht hat: Niemand stellt in der aktuellen Debatte infrage, dass ein Verhalten wie das von Weinstein inakzeptabel ist.
Also sehen Sie doch Fortschritte?
Jein. Das heisst ja nicht, dass alle diese Einschätzung teilen, sondern nur, dass niemand eine abweichende Meinung zu äussern wagt. Auch deshalb haben rechtspopulistische Parteien momentan so grossen Zulauf: Rechtspopulismus und Antifeminismus gehen Hand in Hand. Das beste Beispiel dafür ist die deutsche AfD.
Und in der Schweiz?
Die SVP hält sich interessanterweise fern von offenem Antifeminismus. Aber auch sie wird überproportional von Männern mit beschränkten Perspektiven gewählt. Und auch sie lässt Männer in der Illusion, dass «richtige Kerle» – sprich: Männer mit begrenzten emotionalen und sozialen Kompetenzen – Zukunft hätten. Der Strukturwandel im Arbeitsmarkt sagt jedoch etwas anderes.
Ernst Bloch nennt es die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Das klingt kompliziert, Bloch war halt Philosoph. Diese Woche erhalten wir nun aber Anschauungsunterricht in praktischer Philosophie: In den sozialen Medien berichten Frauen unter dem Hashtag #Me-Too über sexuelle Übergriffe – zugleich gaben 26 Prozent der Österreicher der FPÖ ihre Stimme, der Frauenverachtenden Partei Österreichs.
Das Handbuch der FPÖ bezeichnet die Gebärmutter als den «Ort in Österreich mit der höchsten Sterbewahrscheinlichkeit». Norbert Hofer, unterlegener Kandidat der FPÖ fürs Amt des Bundespräsidenten, weiss, dass «manche junge Dame ihre zunächst gewollte Schwängerung bald für einen sexistischen Übergriff hält». Und für Parteichef Heinz-Christian Strache ist sexuelle Belästigung keine Straftat.
Der Sexismus in der FPÖ ist vielleicht nur deshalb selten ein Thema, weil die Partei schon mit ihrem Rassismus für Schlagzeilen sorgt. So dürfte mit Strache erstmals in Westeuropa ein früherer Neonazi Mitglied einer Regierung werden.
Tatsächlich aber lassen sich Rassismus und Sexismus nicht voneinander trennen. Beide sind Ausdruck des gleichen Menschenbilds, das gewisse Personengruppen über andere stellt.
H. C. Strache aspiriert aufs Amt des Innenministers. Dieser verantwortet auch die Bereiche «Recht und Gesellschaft». Der nächste Aufschrei der Frauen kommt also bald.
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