Kita-Betreuer wehren sich gegen Vorurteile
«Mit Kindern zu spielen ist gar keine richtige Arbeit»

In Kitas und Kindergärten stehen Männer unter Generalverdacht wegen möglichen sexuellen Übergriffen. Um Vorurteile abzubauen vernetzen sich die Betreuer jetzt.
Publiziert: 11.09.2014 um 10:54 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2019 um 15:09 Uhr
Von Lea Gnos

Krippenleiter Pascal Thurnheer (44) singt  mit den Kindern «Füürle füürle, das tuet guet!» Sein Kollege Jonas Urben (28) spielt mit einem Mädchen in der Kochecke. Im Chinderland in Küttigkofen SO sind männliche Betreuer in der Überzahl – die Kita ist eine Exotin in der weiblich dominierten Krippenlandschaft.

Der Job als Kinderbetreuer ist  bei Männern noch immer wenig gefragt: Im Jahr 2013 schlossen 1755 Fachpersonen Betreuung ihre Ausbildung ab, davon waren nur 158 Männer – spärliche neun Prozent. «Ich habe schon oft von Kollegen gehört: Das ist doch gar keine richtige Arbeit, mit Kindern zu spielen», sagt Jonas Urben, der seine Ausbildung in Küttigkofen macht.

René W.* (28) berichtet aus seiner Krippe in St. Gallen: «Eine Mutter sagte zur Gruppenleiterin, sie möchte nicht, dass ich das Kind wickle – man wisse ja nie.» Männer, die mit kleinen Kindern arbeiten, stehen unter Generalverdacht.

Das soll sich jetzt ändern. Der Dachverband der Schweizer Männer und Väterorganisationen Männer.ch startet eine Offensive und wirbt für mehr Männer und mehr Toleranz in Kinderkrippen. Richten soll es das Projekt Maki, abgekürzt für mehr «Männer als Kinderbetreuer».

«Wir wollen junge Männer für den Einstieg und erwachsene Männer für den Umstieg in den Beruf motivieren», sagt Projektleiter Lu Decurtins (51). Unterstützt wird das Pilotprojekt vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung.

Nach den Herbstferien startet es: «Ich werde mit Kita-Mitarbeitern in Schulen gehen und versuchen, Jugendliche für einen Sozialeinsatz in Kitas zu begeistern», sagt Decurtins. «Sie sollen sehen, dass es nicht uncool oder unmännlich ist, sich um Kinder zu kümmern und dass auch Jungs in den sozialen Bereichen Kompetenzen haben.»

Gleichzeitig schalten Forscher der Universität St. Gallen und der Pädagogischen Hochschule St. Gallen die Homepage www.gender-kita.ch auf, wo sich männliche Kinderbetreuer vernetzen und ihre Erfahrungen austauschen können. Eine neue Broschüre für Krippenleiter soll helfen, Vorurteile abzubauen – auch aufseiten der Eltern.

Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt eine aktuelle Studie der Uni St. Gallen und der Pädagogischen Hochschule St. Gallen. «In unserer Studie gaben acht von 20 Krippenleitungen an, Sonderregelungen für männliche Mitarbeiter zu haben, was das Wickeln und teilweise auch das Schlafengehen der Kinder anbelangt», sagt Mitautorin  Franziska Vogt (46), Leiterin des Instituts für Lehr- und Lernforschung an der Pädagogischen Hochschule Zürich.

So werde männlichen Betreuern nahegelegt, nicht mit Kindern auf die Toilette zu gehen, da dies «Blicke hervorrufen» würde. «Hintergrund dieser Massnahmen ist die Angst vor möglichen sexuellen Übergriffen, die von Männern verübt werden könnten.» Es sei jedoch keine Lösung, Männer unter Generalverdacht zu stellen.

Pascal Thurnheer aus Küttigkofen ist selbst fünffacher Vater. Vor 19 Jahren gründete er mit seiner Frau die Krippe Chinderland – und ist glücklich damit. «Dieser Beruf ist für Männer so selbstverständlich wie für Frauen», sagt Thurnheer. «Und Männer bringen erst noch neue Sichtweisen in den Krippenalltag ein.»

*Name von der Redaktion geändert. Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version dieses Artikels wurde der Klarname verwendet. Nach Missbrauchsvorwürfen gegen die betreffende Person wurde der Name aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes abgeändert.

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