Der Staat holte sich ihr Grundstück
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Wegen Bachrenaturierung:Der Staat holte sich ihr Grundstück

Katarina Bach (77) aus Bauma ZH muss ihr Gärtlein abgeben – für die Enteignung gibts kaum Entschädigung
«Der Staat hat sich geholt, was mir gehört»

In der Schweiz können sich Grundbesitzer in der Nähe von unterirdischen Bächen und kanalisierten Flüssen nicht mehr sicher sein, dass sie ihr ganzes Land behalten können. Denn ein Gesetz zwingt Gemeinden, diese zu renaturieren. Enteignungen drohen – zu Schleuderpreisen.
Publiziert: 12.07.2019 um 23:09 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 08:10 Uhr
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Katarina Bach (77) ist traurig: Der Staat hat ihr einen Teil ihres sonst schon kleinen Gartens genommen, um einen Bach zu renaturieren.
Foto: Philippe Rossier
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Flavio Paolo RazzinoNachrichtenchef

Es ist ein Grundrecht wie die Meinungsfreiheit und wird in der Schweiz ebenso bitter verteidigt: das Recht auf Eigentum – und die Garantie darauf. Doch vielen Grundstücksbesitzern droht in den nächsten Jahren trotzdem die Enteignung, der Verlust von Eigentum wegen staatlichen Zwangs.

Schweizweit ist das Eigentum im Visier

Neuestes Opfer: Katarina Bach (77) aus Bauma ZH. Ihr hat der Kanton Zürich laut «regio.ch» einen Teil ihres Gartens genommen – für ein Bachprojekt. Dagegen wehrte sich die Rentnerin vehement, jedoch vergebens. Dort, wo bis Anfang Sommer noch ihre Schwertlilien und Pfingstrosen blühten, ist jetzt eine grosse Baustelle.

Auch in Russikon ZH wird enteignet. Ebenfalls wegen eines Bachprojekts werden Grundbesitzer an der Berggasse einiger Teile ihrer Grundstücke beraubt. Einer der Anstösser verliert gar drei Viertel seines Gartens. Gegenwehr? Aussichtslos!

Besonders krass auch ein Fall im Toggenburg. Bei Wattwil SG soll die Thur saniert und verbreitert werden. Alle Grundstückbesitzer entlang des Flusses müssen bis zu zehn Prozent ihrer Grundstücke an den Staat abtreten. Ob sie wollen oder nicht. Eine Interessengemeinschaft wehrt sich vehement dagegen – bislang aber erfolglos. 

Weitere Beispiele von Renaturierungen, die Enteignungen nötig machen werden: die Sanierung des 26 Kilometer langen Rheinkanals im St. Galler Rheintal, der Reuss in Luzern und der Thur in Weinfelden TG.

20 Quadratkilometer Land nötig

Das Recht, bei Bach- und Flusssanierungen Grundeigentümer enteignen zu können, besitzt der Staat seit 2011. Damals wurde auf Bundesebene eine nur wenig beachtete Gewässerschutzverordnung in Kraft gesetzt. Seither müssen Kantone Fliessgewässer, die heute in Kanäle gezwängt oder gar unter die Erde verlegt wurden, wenn immer möglich renaturieren. Aus Naturschutzgründen.

Heute sind rund 15'000 Kilometer Fliessgewässer kanalisiert oder gar überdeckt. Mindestens 4000 Kilometer davon sollen bis 2090 wieder renaturiert werden. Das braucht Land. Viel Land. Häufig solches, das Privaten gehört – oder von Bauern seit Generationen gepachtet wird.

Aber auch wenn die Gemeinde für enteignetes Land eine Entschädigung zahlt – für die Enteigneten ist es fast immer ein schlechtes Geschäft. In Russikon wurde den Grundeigentümern 200 Franken pro Quadratmeter geboten – der Marktpreis für Bauland in der Kernzone beträgt aber 800 Franken.

Warum man die Natur zurückholt

Früher wurden Bäche und Flüsse kanalisiert, um zusätzliche Fläche für die Landwirtschaft oder für Siedlungen gewinnen zu können. Zudem wollte man so die Hochwassergefahr rund um die Fliessgewässer eindämmen. Doch für die Natur war das Resultat verheerend: Kanalisierte Bäche und Flüsse sind ökologisch häufig tot – oder ermöglichen nur eine geringe Biodiversität. Dort, wo Bäche und Flüsse Platz haben, entsteht hingegen viel Leben.

Studien zeigen, dass renaturierte Bäche und Flüsse zum nachhaltigen Hochwasserschutz beitragen. Das Gewässerschutzgesetz des Bundes sieht darum vor, Bäche und Flüsse wieder naturnah zu gestalten.
Das Bundesamt für Umwelt rechnet mit 2000 Hektaren, die für die Renaturierung gebraucht werden. Etwa so viel wie die gesamte Fläche der Stadt Zug. Nicht alles Land muss von Privaten enteignet werden – aber viel.

Früher wurden Bäche und Flüsse kanalisiert, um zusätzliche Fläche für die Landwirtschaft oder für Siedlungen gewinnen zu können. Zudem wollte man so die Hochwassergefahr rund um die Fliessgewässer eindämmen. Doch für die Natur war das Resultat verheerend: Kanalisierte Bäche und Flüsse sind ökologisch häufig tot – oder ermöglichen nur eine geringe Biodiversität. Dort, wo Bäche und Flüsse Platz haben, entsteht hingegen viel Leben.

Studien zeigen, dass renaturierte Bäche und Flüsse zum nachhaltigen Hochwasserschutz beitragen. Das Gewässerschutzgesetz des Bundes sieht darum vor, Bäche und Flüsse wieder naturnah zu gestalten.
Das Bundesamt für Umwelt rechnet mit 2000 Hektaren, die für die Renaturierung gebraucht werden. Etwa so viel wie die gesamte Fläche der Stadt Zug. Nicht alles Land muss von Privaten enteignet werden – aber viel.

In Russikon verteidigt man die Preispolitik

Der Russiker Bausekretär Lukas Weilenmann rechtfertigt den Preis damit, dass sich an der Ausnützung des übrig gebliebenen Grundstücks nichts ändere. Auf die Öffnung des Baches konnte die Gemeinde zudem nicht verzichten, sagt Weilenmann. «Wir hätten dafür wegen des Gewässerschutzgesetzes vom Kanton niemals die Bewilligung erhalten», sagt er.

Aufmucken will in Russikon niemand öffentlich. Da die Enteignung droht, versuchen die Grundeigentümer stattdessen mit der Gemeinde zu verhandeln. So wurde einer Familie die Bewilligung für eine zusätzliche Terrasse im Gegenzug zum Grundstück in Aussicht gestellt. Einem anderen Grundeigentümer verspricht die Gemeinde, nach der Bauerei den Garten auf eigene Kosten wieder herzurichten. Ein Dritter darf das Grundstück behalten, aber nicht mehr nutzen.

Bach trauert um ihre Oase

Bei Katarina Bach in Bauma ist es ein Stück ihres ohnehin kleinen Gartens, das sie verliert. Anfang Monat sind Baumaschinen auf ihrem Grundstück aufgefahren, haben ihren Gartenschopf abgerissen und das Land, das neu für den renaturierten Bach gebraucht wird, abgeriegelt.

Katarina Bach: «Der Staat hat sich geholt, was mir gehört. Ich finde das eine Frechheit.» Sie habe sich von Anfang an gegen die Enteignung gewehrt – doch gerade dadurch ein noch schlechteres Geschäft gemacht als die Russiker Grundbesitzer. Denn anfangs wollte die Gemeinde Bauma das Land noch kaufen.

Weil sie ihr Land aber nicht hergeben wollte, hat es ihr der Staat am Ende einfach genommen. Für null Franken pro Quadratmeter. «Gratis! Ist das nicht eine Frechheit?», so Bach. Die Gemeinde begründet die entschädigungslose Enteignung damit, dass sich Katarina Bach stattdessen nicht an der Instandhaltung des Bachbords beteiligen müsse – und auch den Schopf, der vor über 20 Jahren offenbar ohne Bewilligung gebaut wurde, habe man gratis abgerissen und entsorgt.

Nun trauert Katarina Bach ihrer Oase hinterm Reiheneinfamilienhaus nach. «Die Gemeinde hat mich mit ihrem Vorgehen kaputt gemacht, sogar einen Herzinfarkt habe ich wegen des Streits um mein Eigentum erlitten!», sagt sie.

So enteignet der Staat

Unter Enteignung versteht man das Wegnehmen von Privatbesitz durch den Staat. Eigentlich ein Eingriff in die verfassungsmässig verbriefte Eigentumsgarantie. Enteignen darf der Staat darum nur, wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt, die Enteignung von öffentlichem Interesse ist sowie auch verhältnismässig.

Es gibt zwei Arten, wie der Staat enteignet: formell und materiell. Nimmt der Staat beispielsweise ein Stück Grundstück von einem Privaten, handelt es sich um eine formelle Enteignung. Bei der materiellen Enteignung verliert man zwar nicht das Eigentum einer Sache, jedoch kann der Staat die Nutzung so stark einschränken, dass am Ende das Eigentum nur noch auf dem Papier existiert.

Im Normalfall zahlt der Staat bei einer Enteignung dem ursprünglichen Eigentümer eine Entschädigung – manchmal gar mit einem «Unfreiwilligkeitszuschlag».

Unter Enteignung versteht man das Wegnehmen von Privatbesitz durch den Staat. Eigentlich ein Eingriff in die verfassungsmässig verbriefte Eigentumsgarantie. Enteignen darf der Staat darum nur, wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt, die Enteignung von öffentlichem Interesse ist sowie auch verhältnismässig.

Es gibt zwei Arten, wie der Staat enteignet: formell und materiell. Nimmt der Staat beispielsweise ein Stück Grundstück von einem Privaten, handelt es sich um eine formelle Enteignung. Bei der materiellen Enteignung verliert man zwar nicht das Eigentum einer Sache, jedoch kann der Staat die Nutzung so stark einschränken, dass am Ende das Eigentum nur noch auf dem Papier existiert.

Im Normalfall zahlt der Staat bei einer Enteignung dem ursprünglichen Eigentümer eine Entschädigung – manchmal gar mit einem «Unfreiwilligkeitszuschlag».


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