Islamkritiker Hamed Abdel-Samad redet jungen Muslimen ins Gewissen – und landet damit einen Internet-Hit
«Potenzielle Attentäter muss man ansprechen, nicht Professoren»

Islamkritiker Hamed Abdel-Samad (45) richtet sich in einem viralen Video direkt an potenzielle Terroristen. Im BLICK erklärt er, wie er auf die Idee kam. Und was er sich davon verspricht.
Publiziert: 15.09.2017 um 23:36 Uhr
|
Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:50 Uhr
Michael Sahli

«Lieber wütender, junger Muslim in Europa ...», beginnt das neuste Video des deutsch-ägyptischen Politologen und Islamkritikers Hamed Abdel-Samad, das in Deutsch, Englisch und Arabisch veröffentlicht wurde. Was danach folgt, verbreitet sich in den sozialen Netzwerken wie ein Lauffeuer. Während einer Viertelstunde redet der unerschrockene 45-Jährige auf potenzielle Attentäter ein: «Du glaubst, Gott wartet auf dich mit 72 Jungfrauen als Belohnung, weil du seine angeblichen Feinde tötest? Sex als Belohnung für den Tod von Unschuldigen! Wie absurd!»

Und weiter: «Stell dir vor, eine Frau, die du gerade überfahren hast, hinterlässt ein kleines Kind. Kannst du diesem Kind in die Augen schauen und ihm sagen: ‹Deine Mutter hat mir zwar nichts angetan, doch ich habe sie kaltblütig umgebracht, weil mir das der barmherzige Gott befohlen hatte›? Kannst du das mit ruhigem Gewissen sagen?»

Islamkritiker Hamed Abdel-Samad (45) ist Politikwissenschaftler, Historiker und Autor.
Foto: SEBASTIAN WILLNOW

BLICK: Herr Abdel-Samad, Ihr Video wurde von der Realität eingeholt. Vor wenigen Stunden gab es einen Anschlag in London.
Hamed Abdel-Samad: Das macht mich verzweifelt. Vor allem weil man jedes Mal ein Stück abstumpft. Die Anschläge werden Normalität. Unsere Abstumpfung ist daher ein Zeichen der Eskalation. Und das ist gefährlich.

Ihre Rede wurde zum Klick-Hit. Hätten Sie das selber gedacht?
Nein, niemals. Mein Ziel war, potenzielle Attentäter in ihrer eigenen Sprache anzusprechen. Was bringt es, Videos für Professoren und Intellektuelle zu machen? Man muss diese Leute ansprechen, wie ein grosser Bruder den kleinen Bruder anspricht.

Denken Sie wirklich, man kann Attentate auf diese Art verhindern?
Fakt ist: Ich habe Millionen Leute erreicht. Wenn ich nur die Einstellung eines einzigen Salafisten geändert habe, wurde das Ziel erreicht. Im Internet herrscht ein Propagandakrieg, ganz klar. Und der Westen ist nicht am Gewinnen. Man darf den Extremisten – auch online – das Feld nicht überlassen.

Sie fordern gemässigte Muslime auf, sich deutlicher zu distanzieren. Muss ich mich als Weisser nun auch von den Nazi-Aufmärschen in den USA distanzieren?
Halt! In den USA gab es grosse Gegendemos gegen den Ku Klux Klan. Und bei den Muslimen? In Deutschland haben Zehntausende für Erdogan demonstriert. Aber nur ein paar Hundert gegen Terror. Ich verlange sogar noch mehr. Distanzieren kann sich ja jeder. Die Muslime im Westen müssen endlich klar Position beziehen.

Der IS steht in Syrien und dem Irak vor einer militärischen Niederlage. Wie sind die Auswirkungen für Europa?
Mein Horrorszenario wäre: Je mehr der IS in Bedrängnis kommt, desto mehr Anschläge gibt es in Europa. Meine Hoffnung: Die salafistischen Tagträumer wachen endlich auf und wenden sich vom radikalen Islam ab. Oder sogar vom Islam überhaupt. 

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?