Shiva Aminis (28) Träume zerbrechen an einem sonnigen Frühlingstag auf einem Zürcher Fussballplatz. Die iranische Ex-Nationalspielerin tut etwas, was in ihrer Heimat verboten ist: Sie trägt kurze Hosen und kickt ohne Kopftuch. Das wird ihr zum Verhängnis.
Heute befindet sich Shiva Amini in einem Empfangs- und Verfahrenszentrum in der Schweiz. Sie hat ein Asylgesuch gestellt. BLICK trifft die zierliche Sportlerin in einem Café. Sie erscheint im Trainer, ihre blondierten Haare trägt sie offen, ohne Kopftuch. «Ich kann nicht in den Iran zurück», sagt sie mit leiser Stimme. «Ich würde am Flughafen festgenommen und ins Gefängnis gesteckt werden.»
In gebrochenem Deutsch erzählt Amini, wovor sie sich fürchtet. Beamte des iranischen Ministeriums für Nachrichten hätten ihre Eltern, ihre Schwester und ihren Bruder besucht, um sie zu finden. Freunde im Fussballverband wollen erfahren haben, dass sie im Iran auf der «schwarze Liste» sei. Eine Liste mit politisch Verfolgten. Die Sittenwächter haben sie auf dem Radar.
Zoff mit dem Fussballverband
Das Drama beginnt im März: Amini veröffentlicht Fotos von ihrem Plausch-Spiel in Zürich. Die Aufnahmen finden einen Weg von ihrem privaten Instagram-Konto ins Internet. Amini ist verunsichert, befürchtet Konsequenzen. Anonym ruft sie beim iranischen Fussballverband an und erkundigt sich.
Sie spricht mit mehreren Leuten, und die Reaktionen sind unterschiedlich. Einige zeigen Verständnis, andere weisen sie zurecht. «Ein hochrangiger Funktionär sagte mir, es sei offensichtlich, dass ich mit der Opposition und anti-islamischen Gruppen zusammenarbeite», sagt Amini.
In einem Videobeitrag des Aktivisten-Mediums «My Stealthy Freedom» kritisiert Amini den Verband. Internationale Medien werden auf die Geschichte aufmerksam. Auch «Voice of America», der offizielle Auslandssender der ungeliebten USA, berichtet auf Persisch über den Fall. So ist sie ins Visier ihrer Regierung geraten, vermutet Amini.
Heute bereut die junge Frau, das Foto veröffentlicht zu haben. «Ich würde das nie mehr riskieren, denn ich liebe meine Familie und mein Land.» Sie seufzt. «Ich hatte ein gutes Leben im Iran.»
Ihren Eltern hat Shiva Amini noch nicht die ganze Wahrheit erzählt. «Sie sind alt und ich möchte ihnen die Situation schonend beibringen», sagt sie. «Sie denken, dass mir die Schweizer Regierung eine Möglichkeit gegeben hat, hier als Sportlerin zu leben.»
«Ohne Fussball ist mein Leben sinnlos»
Noch immer geht Amini jeden Tag joggen, in wärmeren Zeiten spielte sie täglich Fussball – manchmal mit anderen Asylbewerbern. «Sie sind nicht sehr sportlich, also keine Herausforderung für mich», sagt sie und lacht – was während des Gesprächs nicht oft vorkommt.
Auf dem Fussballplatz vor dem Café schnappt sie sich einen Ball und beginnt zu jonglieren, ohne Kopftuch, wie an dem verhängnisvollen Tag im März. «Ohne Fussball und Sport ist mein Leben sinnlos», sagt Amini. Sie spielte vier Jahre im Futsal-Nationalteam der Frauen, eine Variante des Hallenfussballs.
Ab 2009 war sie nach eigenen Angaben als Trainerin tätig. Schon im zarten Alter von 14 Jahren verliess sie ihre Familie in Ishafan, um es in der Hauptstadt Teheran als Sportlerin zu versuchen. «Mein grosses Ziel war es, eine Medaille für mein Land zu gewinnen», sagt die Iranerin.
«Ich hoffe, dass ich in der Schweiz spielen kann»
Ist ihre Angst berechtigt? Dr. Urs Gösken, Islam-Wissenschaftler an der Uni Bern: «Angesichts der Tatsache, dass der Iran kein Rechtsstaat ist und Fälle wie dieser wohl nicht nur juristisch, sondern auch politisch behandelt werden, ist weder für die Betroffene selbst noch für Aussenstehende vorhersehbar, was mit Frau Amini bei einer Rückkehr in den Iran geschehen würde.»
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) äussert sich wegen des Datenschutzes nicht über den konkreten Fall und verweist auf das Asylgesetz. Dieses besagt: Wer in seiner Heimat aufgrund von Rasse, Religion oder Zugehörigkeit einer Gruppe ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sei, könne als Flüchtling anerkannt werden. Und: «Den frauenspezifischen Gründen ist Rechnung zu tragen.»
Shiva Amini ist seit zwei Monaten im Empfangszentrum. In den nächsten 30 Tagen wird sie erfahren, ob auf ihr Gesuch eingegangen wird. «Ich hoffe, dass in einem Schweizer Team spielen kann», sagt sie. Nichts wünscht sie sich sehnlicher – mit einer Ausnahme: «Mein grösster Wunsch ist es, meine Familie zu sehen.»