Interessenskampf um Maskenpflicht
Politiker stemmen sich gegen Kantonsärzte

Nicht überall in der Schweiz muss man in Läden eine Maske tragen. ­Nun zeigt sich: manche Entscheidungsträger stemmen sich dagegen – aus politischen Gründen.
Publiziert: 13.09.2020 um 10:45 Uhr
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Aktualisiert: 28.10.2020 um 06:57 Uhr
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Im Kampf gegen das Coronavirus harzt es an verschiedenen Stellen.
Foto: Keystone
Sven Ziegler

Es harzt im Kampf gegen das Coronavirus. Das zeigt sich auch an der Zunahme positiv Getesteter. Gestern Samstag meldete das BAG 465 neue Fälle. Recherchen zeigen nun: Nicht wenige Gesundheitsdirektoren stellen politische und wirtschaftliche vor medizinische Überlegungen. Sie stemmen sich aktiv gegen eine Maskenpflicht in geschlossenen Räumen, die öffentlich zugänglich sind – trotz gegenteiliger Empfehlungen der Kantonsärzte.

SonntagsBlick liegen Dokumente aus der Telefonkonferenz zwischen den Kantonsärzten und dem Bundesamt für Gesundheit vor. Bereits Anfang August beklagten sich die Mediziner dabei über fehlenden Elan in den Kantonen. «Bezüglich ­einer allfälligen Maskenpflicht in öffentlichen Räumen wird von vielen ­Kantonsärztinnen und Kantonsärzten ein Ausbremsen und Widerstand aus der Politik festgestellt.»

«In Läden nützt es nichts»

Zum Beispiel im Aargau. Dort steigen die Fallzahlen, dennoch wehrt sich der kantonale Gesundheits­direktor Jean-Pierre Gallati (54, SVP) gegen weitergehende Massnahmen. Mitte August sagte er der «Aargauer Zeitung», die Maskenpflicht sei nicht nötig. «In Läden nützt es nichts, weil dort kein Problem vorhanden ist.»

Das BAG sieht das anders. Ende Juli empfahl es den Kantonen, in Läden eine Maskenpflicht einzuführen. Anfang August bekräftigte das Amt gegenüber den Kantonsärzten: «Da sich viele Personen nicht an Orte oder Personen erinnern, ist eine Maskenpflicht an stark ­frequentierten öffentlichen Orten umso mehr gerechtfertigt.»

Im Aargau weibelt der Gewerbeverband an vorderster Front gegen die Massnahme – aus Angst, dass Konsumenten vermehrt online und im Ausland einkaufen. Er wandte sich in einem offenen Brief sogar an den Regierungsrat – und fand bei Gesundheitsdirektor ­Gallati Gehör; immerhin hatte der Gewerbeverband ihn vor einem Jahr bei der Wahl in den Regierungsrat unterstützt. Zudem sass der SVP-Mann bis zu seiner Wahl im November 2019 in verschiedenen Verwaltungsräten.

Einfluss von Verbänden?

Dass der Gewerbeverband Einfluss auf die Entscheidung gehabt haben könnte, bestreitet Amtssprecher Michel Hassler nicht: «Alle ­Anliegen und Argumente von Interessengruppen, (...) werden selbstverständlich in die Evaluation von Massnahmen miteinbezogen.» Die Portierung durch den Verband habe allerdings keine Rolle gespielt. Hassler betont: «Alle Massnahmen müssen verhältnismässig sein, und die diversen In­teressen (gesundheitspolitisch, sozial, ökonomisch) ausgewogen berücksichtigt werden.»

Auch andere Kantonsärzte stossen bei der Politik auf taube Ohren. Mindestens zwei weitere Kantonsarztämter befürworteten eine Maskenpflicht, konnten sich aber nicht durchsetzen.

Politiker sorgen sich um ihr Amt

Nicht immer werde die Ab­lehnung epidemiologisch sinnvoll begründet, klagen Insider, die anonym bleiben möchten. Der Mitarbeiter einer Ostschweizer Kantonsregierung sagt gegenüber SonntagsBlick: «Neben der Angst, dass die Wirtschaft einbrechen könnte, fürchten die Politiker teilweise auch, nicht mehr gewählt zu werden.»

Rudolf Hauri (60), oberster Kantonsarzt der Schweiz, formuliert es diplomatisch: «Es kommt ­immer wieder zu Diskus­sionen zwischen den Kantonsärzten und der Politik. Das ist normal in einem ­solchen Prozess. Am Ende sind die Kantonsärzte Be­rater, Entscheidungsträger ist die Politik.»

Nicht immer geht es dabei um politische Überlegungen: So sind die Fallzahlen in vielen Innerschweizer Kantonen so tief, dass eine Maskenpflicht nicht als notwendig betrachtet wird.

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