In Brig muss man für die Müllabfuhr den Wecker stellen
«Das neue Abfall-Regime geht mir auf den Sack!»

Wer in Brig seinen Abfall am Vorabend hinausstellt, muss mit bis zu 250 Franken Busse rechnen. Eingesammelt werden die Säcke morgens um sieben Uhr. Heisst: Wecker stellen! «Unzumutbar», sagt Charles S. Aber Stadträtin Lucia Näfen beeindruckt das wenig.
Publiziert: 02.09.2017 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 26.10.2018 um 15:31 Uhr
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Charles S. ist pensionierter Lehrer und gehört zu jenen Senioren, die den Wecker stellen müssen, um ihren Abfall pünktlich auf die Strasse stellen zu können.
Foto: Dominic Steinmann
Flavio Razzino

Charles S.* (70) aus Brig-Glis VS könnte als Rentner eigentlich ausschlafen. Doch seit neuestem muss er dienstags und freitags wieder früh aus den Federn. Nur so wird er seine Abfallsäcke los. Denn seit wenigen Wochen dürfen diese in Brig-Glis nur zwischen Mitternacht und sieben Uhr morgens für die Abfuhr deponiert werden.

Würde er den Abfall schon am Vorabend auf die Strasse stellen, müsste Charles S. mit einer Busse von 150 Franken und mehr rechnen. Der Rentner ist genervt: «Dieses Abfallregime geht mir auf den Sack!»

Nachbarn und Freunde sollen helfen

Hinter der knallharten Weisung steckt Lucia Näfen, Stadträtin von Brig und Vorstandsmitglied des Kehrichtverbandes Oberwallis. Wenn es um ihr Abfallregime geht, kennt die CVP-Politikerin kein Pardon.

Zahlreiche Beschwerden von Senioren und Schichtarbeitern, die morgens nicht extra den Müll hinausstellen wollen, haben sie schon erreicht. Die Behördenfrau hat dafür einen Tipp parat: «Nachbarn und Freunde sind sicher bereit, Ihren Abfall rauszustellen.»

Die offiziellen Gebührensäcke im Oberwallis.
Foto: zVg

Der ehemalige Gymnasiallehrer S. sieht seine Lebensqualität trotzdem beeinträchtigt: «Am Vorabend müsste es doch erlaubt sein.» In seinem Quartier fände er es auch nicht gut, wenn jemand den Abfall Tage vorher hinausstellt. Das neue Regime sei dennoch unzumutbar: «Nach mehreren Jahrzehnten Arbeit haben wir Senioren es verdient, etwas länger im Bett liegen bleiben zu können.»

Näfen kann die Aufregung nicht verstehen

Für ihn ist klar: In Brig-Glis interpretieren die Stadtoberen den Begriff Service public falsch. «Die öffentlichen Organe haben der Bevölkerung zu dienen – und sicher nicht umgekehrt!», sagt der Rentner zu BLICK.

Stadträtin Näfen verteidigt ihr unerbittliches Regime. Einerseits gehe es darum zu verhindern, dass Tiere sich über den Abfall hermachen und für Unordnung sorgen. Und ausserdem: «Das Kehrichtreglement mit dieser Weisung gilt seit dem Jahr 2006 – die Aufregung kann ich darum nicht verstehen.»

Der Rentner entgegnet, dass die Regelung bis vor wenigen Wochen nicht in dieser Härte durchgesetzt worden sei. Bis vor kurzem habe er den Abfall immer am Vorabend hinausgestellt. Aber: «Plötzlich hat die Stadt damit begonnen, Flyer zu verteilen, auf denen unter Bussenandrohung auf die geltenden Zeiten hingewiesen wurde!»

Näfen bestätigt, dass man das Regime jüngst deutlich verschärft und darüber auf Flyern informiert habe – in Zusammenarbeit mit der Nachbargemeinde Naters. Ihre Ansage: «Regeln sind da, um eingehalten zu werden!»

Abfallentsorgung ist nicht kostendeckend

Anders als in vielen anderen Gemeinden in der Schweiz gibt es in Brig keine öffentlichen Unterflur-Container, wo Säcke auch zu Randzeiten entsorgt werden können. «Zu teuer», sagt Näfen und rechnet vor: «Brig hat auch so schon ein Problem mit den Kosten für die Abfallentsorgung. Wir müssten diese eigentlich zu 100 Prozent über die Einnahmen der Kehrichtgebühren finanzieren, haben aber derzeit nur eine Quote von 90 Prozent. Das ist zu wenig», sagt Näfen. Das Abfallloch soll nun anscheinend mit Bussen gestopft werden.

* Name der Redaktion bekannt

Auch hier sorgt der Kehricht für Stunk

Die unterschiedlichen Abfallreglemente in der Schweiz sorgen immer wieder für Stunk. In vielen Gemeinden stehen etwa Unterflur-Container. Sie ermöglichen die tägliche, unterirdische Entsorgung von Abfallsäcken. Doch in Diessenhofen TG mussten dieses Jahr zwei solche Container kostspielig wieder aus der Altstadt entfernt werden. Der Grund: Bei hohen Temperaturen ging von der Untergrund-Deponie ein enormer Gestank aus.

Die Unterflur-Container können aber auch gefährlich sein. In Thalwil ZH hat sich ein Bub im Jahr 2015 einen solchen Sammelplatz als Versteck ausgesucht – und ist in den mehrere Meter tiefen Behälter gestürzt. Nur dank einer aufmerksamen Nachbarin wurden seine Hilferufe gehört. Der Bub wurde gerettet.

Unfreiwillig komisch war ein Video von Grünen-Nationalrat Bastien Girod im Jahr 2016: Er fiel beinahe hinein, als er seinen Twitter-Followern zeigen wollte, wie man einen verstopften Unterflur-Container freibekommt.

Zoff um Unterflur-Container und Sammelplätze

Auch die Einrichtung von zentralen Sammelplätzen kann für Ärger sorgen. So mussten sich 2015 in Burgdorf BE Anwohner daran gewöhnen, dass sie ihren Abfall nicht mehr vor die Haustür, sondern an einen dafür vorgesehenen Sammelplatz bringen mussten. «Unzumutbare Wege», kritisierten nicht nur Senioren.

Sogar ennet der Grenze hat Schweizer Abfall schon für mächtig Ärger gesorgt. In Jestetten (D) sorgten Schweizer Einkaufstouristen für Entrüstung, weil sie nach dem Einkauf gleich noch ihren Haushaltsmüll gratis entsorgten. Entweder gleich in den Läden oder später illegalerweise neben der Strasse. «Sie bringen teilweise ganze Säcke mit und schmeissen sie neben der Autostrasse in die Büsche», beschwerte sich damals Karin Wagner vom Jestetter Ordnungsamt über die Zustände.

Die unterschiedlichen Abfallreglemente in der Schweiz sorgen immer wieder für Stunk. In vielen Gemeinden stehen etwa Unterflur-Container. Sie ermöglichen die tägliche, unterirdische Entsorgung von Abfallsäcken. Doch in Diessenhofen TG mussten dieses Jahr zwei solche Container kostspielig wieder aus der Altstadt entfernt werden. Der Grund: Bei hohen Temperaturen ging von der Untergrund-Deponie ein enormer Gestank aus.

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