Heinz B.* (57) ist ein liebevoller Familien- und Grossvater. Jahrelang arbeitet er glücklich als Posthalter und später Teamleiter beim gelben Riesen. Bis seine Lebensfreude schleichend schwindet. Die Depression sich breitmacht. Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken notwendig werden. Während sich sein Umfeld Sorgen macht, hält ihn die IV-Stelle des Kantons Zürich für kerngesund.
«Es ist, als würde ich das Leben absitzen»
Als BLICK Heinz B. besucht, sitzt er am Stubentisch. Lächeln fällt ihm schwer. Beim Gespräch verliert er manchmal den Faden. «Ich sehe einen Sonnenuntergang mit Abendrot. Ich weiss, es ist wunderschön. Trotzdem empfinde ich beim Anblick nichts. Es ist ein Gefühl, als würde ich das Leben absitzen.»
2005 machten sich die ersten Symptome bemerkbar. 2011 unterbrach B. seine Arbeit für einen Monat. Im November 2015 ging nichts mehr, der Job war nicht mehr zu bewältigen. «Ich hatte keine Freude, kein Interesse und keinen Antrieb», sagt er. Seither war er viermal für mehrere Wochen in einer psychiatrischen Klinik. Diagnose: «Wiederauftretende depressive Störung mit schweren Episoden.» Heute nimmt der Patient täglich Psychopharmaka.
Belastbarkeitstraining gescheitert
Im Juli 2017 absolvierte B. zwischen zwei Klinikaufenthalten ein von der IV bezahltes Belastbarkeitstraining. Doch seine Coaches stoppten ihn. Ihr Fazit: «Er wirkte während der Potenzialabklärung massiv psychisch belastet. Eine verwertbare Arbeitsfähigkeit liege zum jetzigen Zeitpunkt nicht vor.»
Alle involvierten Fachpersonen sprechen von einer schweren Depression. Der Psychiater von B. attestiert eine Arbeitsunfähigkeit. Möglich sei allenfalls eine Tätigkeit von 20 Prozent mit einer maximalen Belastung von eineinhalb Stunden pro Tag. Nur IV-Gutachter Dr. K.* (55) aus Bern sieht es ganz anders. Er attestiert am 5. August 2019: «Eine relevante längerfristige Arbeitsunfähigkeit ist aus versicherungs-psychiatrischer Sicht für keinen Zeitraum zu begründen.»
«IV-Arzt verdrehte meine Aussagen»
B. dazu: «Er führte mit mir ein Gespräch von rund 90 Minuten, mehr nicht. Meine Aussagen wurden verdreht. Beim Lesen des Gutachtens merkt man, dass Dr. K. eine vorgefertigte Meinung hatte.» Nun geht er mit dem Anwalt gegen den Vorentscheid vor.
Dr. K. ist unter Juristen berühmt-berüchtigt für die Gesunderklärung von Patienten. Recherchen des SonntagsBlick zeigten: K. sprach bereits früher eine depressive Patientin zu 100 Prozent arbeitsfähig. Auch damals stellte er sich gegen die Meinung seiner Berufskollegen. Eineinhalb Jahre später nahm sich die Patientin das Leben.
IV und Arzt: Kein Kommentar
Die IV-Stelle Zürich will zum Fall von Heinz B. keine Auskunft geben, obwohl sie schriftlich von der Schweigepflicht entbunden wurde. «Es handelt sich um einen laufenden Fall, deshalb gehen wir auch nicht weiter darauf ein», sagt Daniela Aloisi von der SVA Zürich zu BLICK. Sie betont, dass es sich um einen Vorbescheid handle.
Grundsätzlich habe man aber noch nie Zweifel an den Gutachten von Dr. K. gehabt, so Aloisi weiter. «Jede Gutachterin und jeder Gutachter verpflichtet sich mit der Annahme des Auftrages, nach dem Kodex für Gutachterinnen und Gutachter zu handeln. Gibt es Zweifel oder Kritik, ist die IV-Stelle Ansprechpartnerin. Das nehmen wir ernst», so Aloisi.
Dr. K. selber sagt: «Bei Gutachten muss ich neutral und orientiert an den wissenschaftlichen Regeln meines Fachs eine ausführlich begründete Beurteilung abgeben.» Zum konkreten Fall will sich K. aber auch nicht äussern.
* Namen geändert