Im Jahr 2000 hatte die Schweiz 145 Gefängnisse in Betrieb – heute sind es 106. Allein 2017 wurden acht Haftanstalten dichtgemacht, wie neuste Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen.
Geschlossen wurden vor allem weniger grosse Vollzugseinrichtungen. So kleine wie das Ausschaffungsgefängnis in Bazenheid SG.
Dieser Knast ist klein. Verdammt klein. Die zwölf Häftlinge leben auf wenigen Quadratmetern. Drei Aufenthaltsorte stehen zur Verfügung: Ihre Zelle, die sie sich mit einem anderen Insassen teilen müssen. Ein Raucherzimmer, in dem ein Töggelikasten steht und ein paar Brettspiele liegen. Dann noch ein gepflasterter Innenhof, in dem ein zugeschneiter Pingpongtisch auf den Frühling wartet.
Den Frühling zu erkennen, ist im Toggenburger Kleinstgefängnis nicht ganz einfach. Hier gibt es weder Bäume noch Blumen oder Grünflächen. Auch Privatsphäre suchen die Häftlinge vergeblich. Zwischen ihren drei Aufenthaltsoptionen dürfen sie nur in Begleitung der Gefängniswärter wechseln. Einzig in der Dusche sind sie allein – da wartet der Aufseher vor der Tür.
Christoph Widmer (54), Chef der Polizeistation und des Ausschaffungsgefängnisses Bazenheid, sagt: «Im zweiten Aufenthaltsraum mit der kleinen Bibliothek könnten die Insassen Zeit für sich haben. Aber dort will praktisch nie jemand hin, weil nicht geraucht werden darf.»
Wer im Gefängnis Bazenheid sitzt, soll so schnell wie möglich in sein Heimatland abgeschoben werden. Einige sind hier, weil sie keinen geregelten Aufenthaltsstatus vorweisen können und die Schweiz nicht freiwillig verlassen wollen. Andere sollen ausgeschafft werden, weil sie straffällig geworden sind. Oder weil auf sie beides zutrifft.
Die meisten sind nur ein paar Wochen in Bazenheid. Aber manchmal dauert es deutlich länger. «Wir hatten auch schon solche, die nicht zurückgeschafft werden konnten und über ein Jahr hier waren», sagt Widmer.
Kritische Verhältnisse
Ein Jahr in zwei kleinen Räumen und einem trostlosen Innenhof – ohne Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeit – das sind Verhältnisse, die dazu geführt haben, dass viele Kleinstgefängnisse in den letzten Jahren die Tore für immer schlossen, während die Häftlinge in grösseren Anstalten zentralisiert wurden. Seit dem Jahr 2000 erhöhte sich die durchschnittliche Grösse der Schweizer Vollzugseinrichtungen von 46 auf 70 Plätze – um 55 Prozent.
«Der Konzentrationsprozess spielt sich vor allem im Bereich der Untersuchungshaft und beim Vollzug von Kurzstrafen ab», sagt Ueli Hostettler (57) vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern. Er begrüsst das: «Es ist davon auszugehen, dass die Konzentration zu einer Steigerung der Qualität führt.»
Konkret bedeutet das bessere Infrastruktur für die Gefangenen, höhere Sicherheit innen und aussen, mehr Angebote im Bereich Arbeit, Bildung, Freizeit, eine professionellere Gesundheitsversorgung. Und modernere Arbeitsplätze für die Angestellten.
In erster Linie sind aber finanzielle Überlegungen verantwortlich für den Wandel. «Es ist völlig unbestritten, dass grössere Anstalten wirtschaftlicher sind», sagt Roger Schneeberger, Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD).
Marcel Ruf (53), Direktor der Justizvollzugsanstalt Lenzburg (JVA) und Präsident von Freiheitsentzug Schweiz (FES), pflichtet ihm bei: «Ein Gefängnis im Bereich der Untersuchungshaft und Kurzstrafen sollte heute idealerweise mindestens zwischen 100 und 150 Plätze verfügen.»
Gefängnisbetreiber und Experten sind sich einig: Der Trend zu grösseren Haftanstalten sei zu begrüssen. Und: Die Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen.
Im Kanton St. Gallen ist die nächste Konzentrationswelle bereits aufgegleist. Voraussichtlich im November 2018 stimmt das Volk darüber ab, ob das Regionalgefängnis Altstätten für 83 Millionen Franken erweitert werden soll, von 45 auf 126 Haftplätze. Vier kleine Gefängnisse würden dafür verschwinden: Widnau, Gossau, Flums – und Bazenheid.
Linke Kreise im Kanton St. Gallen wollen nicht so lange warten. Sie kritisieren die Haftbedingungen im Toggenburger Mini-Knast scharf und haben deshalb im vergangenen Sommer eine Petition eingereicht, die fordert: «Stoppt die Beugehaft! Ausschaffungsgefängnis Bazenheid sofort schliessen!»
Bericht gibt Linken recht
Rückenwind gibt den Initianten ein Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). Diese hat dem St. Galler Regierungsrat im Frühling 2016 einen Bericht überreicht, in dem bemängelt wird, dass das Haftregime in Bazenheid zu restriktiv sei und nicht dem Zweck der ausländerrechtlichen Haft entspreche.
Gefängnisleiter Christoph Widmer kann mit dieser Kritik nicht viel anfangen. Aus seiner Sicht sind die Haftbedingungen in seinem Mini-Knast durchaus zumutbar. Zum strengen Regime meint er: «Das Wichtigste ist für mich, dass die Sicherheit meiner Mitarbeiter gewährleistet ist.»
Widmer wehrt sich vor allem gegen das Bild, wonach in seinem Ausschaffungsgefängnis Unschuldige sitzen, denen lediglich die Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz fehle. «Tatsache ist, dass wir von den meisten Insassen so gut wie nichts wissen. Oft haben wir keine Ahnung, woher sie kommen, geschweige denn, was sie auf dem Kerbholz haben.»
Die Erfahrung zeige aber, dass einige der Insassen sehr gefährlich seien. «Das ist auch der Grund, wieso ich mein Gesicht nicht in der Zeitung sehen will.» Übrigens: Widmer wird an der Volksabstimmung über den Erweiterungsbau in Altstätten ein überzeugtes Ja einlegen. «An dem Tag, an dem wir das Gefängnis dichtmachen können, steigt hier eine Party», sagt er grinsend. Der Grund: «Wir sind in erster Linie Polizisten und keine Gefängniswärter.»
6% aller Gefängnisinsassen in der Schweiz sind Frauen.
6863 Menschen sassen Ende 2017 in der Schweiz im Knast. Die Gefängnisse sind damit zu 91 % ausgelastet.
398 Plätze hat der grösste Knast der Schweiz, das Champ-Dollon in Genf.
5 Plätze bietet das kleinste Gefängnis der Eidgenossenschaft in Appenzell.
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