Sie sangen, tanzten und feierten: 2000 orthodoxe Juden zogen am Mittwoch durch die Talstrasse in Davos GR. Der Anlass: eine Thora*-Einweihung. Eine Zeremonie, die nur selten stattfindet. Dementsprechend gross war das Interesse. Das schöne Wetter tat sein Übriges.
Auch Jonathan Kreutner, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), war vor Ort. Er erlebte die Einweihung hautnah mit. «Die Stimmung war ausgelassen, die Menschen haben getanzt und gelacht», sagt Kreutner zu BLICK.
«Unsere Heimat ist verloren»
Aber nicht alle freuten sich über das religiöse Zeremoniell. Die Thora-Einweihung dauerte zwar nur eine Stunde. Zeitweise blockierten die Feiernden aber die Strasse. Und das sorgte für rote Köpfe bei einigen Davosern. So auch bei Landrat Conrad Stiffler. Der SVPler stellte Aufnahmen der Prozession auf Facebook und schrieb dazu: «Jetzt sind wir soweit. Unglaublich.»
Die Videos wurden rege kommentiert. Zwar ist Stiffler nicht der Einzige, der etwas gegen das Juden-Fest hat. «Wir sind doch nicht in Israel. Wir sind in der Schweiz», schreibt ein Bündner. Ein anderer: «Unsere Heimat ist verloren.»
Seit Jahren erfreuen sich die Bündner Ferienorte Arosa und Davos bei orthodoxen Juden aus aller Welt wachsender Beliebtheit.
Allerdings wehren sich einige Davoser gegen die Motzer. Einer schreibt: «Habt ihr ein Problem damit? Endlich läuft mal etwas Cooles in diesem Loch, und ihr habt eine ‹dummi Schnorra›. Ihr habt keine Ahnung von ihrer Kultur, also lasst sie doch machen, sind nämlich ganz lässige Leute.»
Auch Jürg Grassl vom Verein IG offenes Davos geben die Kommentare zu denken: «Leider kocht der Antisemitismus in Davos gerade auf Facebook hoch und auch Politiker und Touristiker halten sich mit abfälligen Bemerkungen nicht zurück!»
Kommentare sind unter der Gürtellinie
Die Aufregung einiger Davoser kann Jonathan Kreutner teilweise verstehen. Schliesslich habe kaum jemand gesagt, weshalb so viele Juden auf einmal durch die Talstrasse zogen. Darum erschien einen Tag danach auch ein Artikel in der «Davoser Zeitung», der über die Prozession aufklärte, erklärt der SIG-Generalsekretär.
Die Thora-Einweihung war bei der Gemeinde angemeldet und dort auch bewilligt worden. Dass die Strasse derart blockiert wurde, sei zwar ärgerlich. «Nur hat sich das offenbar seitens des Davoser Ordnungsdiensts und der Veranstalter nicht anders organisieren lassen.»
Dennoch: Einige Kommentare gehen laut Kreutner überhaupt nicht. Sie sind «unter der Gürtellinie, geschmacklos und verletzend, was mich sehr betroffen macht», so Kreutner. Es zeige, dass die Kampagne «Likrat Public» richtig und wichtig ist. Likrat ist hebräisch und heisst «aufeinander zugehen». Und darum geht es: über das Judentum vermitteln und aufklären. Um so Unwissenheit und Missverständnisse aus der Welt zu schaffen.
Stiffler will sich nicht mehr zu dem Thema äussern. Begründung: «Es hat schon viel zu viel Staub aufgewirbelt», sagte er zu BLICK. (jmh)
*Die Thora ist der erste Teil des Tanach, der hebräischen Bibel.