«Die Situation bereitet uns grosse Sorgen»
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Chefin vom Pflegeverband:«Die Situation bereitet uns grosse Sorgen»

Oberste Pflegerin über die bereits knappen Ressourcen in den Spitälern
«Das macht uns grosse Sorgen»

Im Gespräch mit SonntagsBlick fordert Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizer Pflegeverbandes, ein schärferes Bewusstsein für die knappen Ressourcen im Gesundheitswesen.
Publiziert: 15.03.2020 um 07:48 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2020 um 13:58 Uhr
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Für die Spitäler in der Schweiz stellt die Corona-Krise eine besondere Herausforderung dar. Nehmen die Fallzahlen hierzulande weiterhin zu, droht eine Überlastung.
Foto: keystone-sda.ch
Interview: Valentin Rubin

Frau Ribi, aus Italien erreichen uns erschreckende Bilder aus Spitälern. Verzweifelte Ärzte, überlastetes Pflegepersonal. Droht der Schweiz Ähnliches?
Yvonne Ribi: Die Situation in Italien macht mir grosse Sorgen. Die Berichte zeigen: Die Spitäler sind total am Anschlag. Ob die Situation in der Schweiz auch so kommt, ist schwierig zu ­sagen. Es gilt aber mit allen Mitteln zu verhindern, dass das Gesundheitswesen überlastet wird. Die drastischen Massnahmen des Bundesrats sind richtig. Ganz wichtig: Alle müssen sich an die Hygiene- und Schutzmassnahmen halten. So hätten wir weniger Fälle, und weniger Leute, die in die Intensivstationen müssen.

Wie gehen die Pflegefachpersonen mit der aktuellen Situation um?
Die Lage ist sehr angespannt. In den Intensivpflegestationen und auf dem Notfall sind Überstunden unvermeidbar. Es braucht Zusatzschichten. Wahleingriffe werden verschoben. Vergessen Sie nicht: Das Gesundheitswesen muss auch neben den Covid-19-Patienten weiterfunktionieren. Wir haben weiterhin Leute mit Hirnschlägen, mit Herzinfarkten, mit Krebs.

Eine Pflegefachperson hat uns erzählt: Man habe schon knappe Ressourcen in den Spitälern. Wie soll man da mit einer Pandemie fertig werden?
Die Sparschraube wurde schon lange angezogen. Das führt dazu, dass wir wirklich knappe Ressourcen ­haben. Gleichzeitig müssen wir das Personal, das wir haben, an den richtigen Ort steuern. Die Spitäler und die Führungspersonen sind maximal gefordert. Es werden bereits weitere Intensivpflegebetten freigeschaufelt. Aber dafür braucht man auch Personal.

Und das ist knapp.
Das Engagement der Pflegenden ist sehr gross. Wir gehen an oder schon über unsere Grenzen. Das darf kein Dauerzustand werden.

Mancherorts fehlen bereits Schutzmasken. Muss das Pflegepersonal Angst um die eigene Gesundheit haben?
Der Schutz des Personals hat oberste Priorität! Da sind die Arbeitgeber, die Spitäler, gefordert. Gehören einzelne Pflegende zur Risikogruppe, dann ist es elementar, mit den Vorgesetzten eine Lösung zu finden.

In Italien sind zehn Prozent der Erkrankten selbst Spitalangestellte. Das macht es noch akuter.
Absolut. Das macht uns grösste Sorgen. Es ist im ­Interesse des Systems, das Personal gesund zu halten. Fällt das aus, wird es brenzlig.

Ist das in der Schweiz schon der Fall?
Noch haben wir von keiner akuten Überlastung gehört. Das kann aber noch kommen. Es gibt Pflegende, die selbst zur Risikogruppe gehören, und die sich nicht den ­Covid-19-Patienten aussetzen wollen.

Ist in den letzten Jahren im Gesundheitsbereich am falschen Ort gespart worden?
Es ist kein Geheimnis, dass es knappe Stellenpläne gibt. Die Covid-19-Krise ist eine grosse Herausforderung für uns. Die Politik und die Behörden müssen Lehren aus der aktuellen Situation ziehen. Wir müssen auch in Zukunft solche Situationen bewältigen können. Es bringt jetzt aber nichts, Schuldzuweisungen zu machen, denn die Situation ist nun allen bewusst. Es braucht Massnahmen nach der Krise, um künftig dafür besser gewappnet zu sein.

Welche Lehren wären das?
Dass genügend Pflegepersonal zentral ist! Sie kennen die demografische Entwicklung: Der Bedarf wird weiter steigen. Dem muss man dringend Rechnung tragen. Daher haben wir die Pflege-Initiative lanciert.

Sie sprechen von der Volksinitiative für eine starke Pflege ...
Wir müssen die Qualität in der Pflege sichern. Wir laufen seit Jahren auf einen Notstand in der Pflege zu. Darum müssen wir mehr in die Pflegeberufe investieren. Nun hat es das Parlament in der Hand, darüber zu entscheiden. Wir müssen eine solche Situation auch in fünf Jahren gut oder noch besser lösen können.

Hat es die Corona-Krise gebraucht, um das Pro­blem der Politik und der Bevölkerung bewusst zu machen?
Es reicht ein Blick in die Zukunft! Betrachtet man den Pflegebedarf dann, ist es zwingend, dass sich die Politik und die Entscheidungsträger für wirksame Massnahmen entschliessen. Es tun sich Versorgungslücken auf, und die müssen wir stopfen. Denn wir haben – gerade jetzt – eine dramatische Situation.

Yvonne Ribi persönlich

Yvonne Ribi (43), diplomierte Pflegefachfrau, ist seit 2013 Geschäftsführerin des Schweizerischen Pflegeverbandes SBK. Mit über 25'000 Mitgliedern handelt es sich dabei um einen der grössten Berufsverbände des Schweizerischen
Gesundheitssystems. Nach der Matura auf dem zweiten Bildungsweg hat sie 2011 den Executive MBA in Management für Nonprofitorganisationen an der Universität Freiburg abgeschlossen

Yvonne Ribi (43), diplomierte Pflegefachfrau, ist seit 2013 Geschäftsführerin des Schweizerischen Pflegeverbandes SBK. Mit über 25'000 Mitgliedern handelt es sich dabei um einen der grössten Berufsverbände des Schweizerischen
Gesundheitssystems. Nach der Matura auf dem zweiten Bildungsweg hat sie 2011 den Executive MBA in Management für Nonprofitorganisationen an der Universität Freiburg abgeschlossen

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